Wie sollten wir mit Ablehnung umgehen?

Ob als Kritik, Ausgrenzung, Ghosting oder Schmähung, wir alle haben schon einmal Ablehnung in der einen oder anderen Form erfahren. Genauso hat es uns dann auch mehr oder weniger getroffen. In jedem Fall aber hat sich uns die Frage gestellt, was es zu bedeuten hat, warum es geschehen ist und was mit uns, oder dem was wir getan haben, womöglich falsch ist. Vielleicht ist das aber auch weder die einzige, noch die erste Frage, die wir uns in so einer Situation stellen sollten. Warum auch sich mit all diesen Fragen plagen?

Wer berechtigte Gründe hat, mit uns, oder dem was wir tun und sagen, ein Problem zu haben, sollte diese auch äußern und verteidigen können. Und wo dies nicht erfolgt, können wir getrost davon ausgehen, dass es diese Gründe nicht gibt, oder es nicht wirklich um diese geht.

Denn wo andere Leute mit uns zu tun haben, sind ihre Reaktionen oft mehr durch sie bestimmt als durch uns. Dies gilt umso mehr, je heftiger diese Reaktionen ausfallen. Es gibt hier zahlreiche Gründe, die dazu führen können, dass man jemanden ablehnt.

Vorurteile, Kalkül, Opportunismus, Verteidigung des Selbstwertgefühls oder des eigenen Weltbildes, reaktiver Trotz, Projektion oder auch nur einfache Bosheit, können alle dazu motivieren, jemanden abzulehnen und oft auch abzuwerten. Die Abwertung ist dabei oft die Folge der Ablehnung und muss für diese als Rationalisierung herhalten.

Wie Äsop`s Fuchs die Trauben für sauer erklärt, die er nicht kriegen kann, erklären wir auch die Menschen für schlecht, die uns aus irgendeinem Grund unangenehm sind. Ob wir es damit tatsächlich ernst meinen oder uns und anderen nur etwas vormachen, zeigt sich dann darin, inwiefern wir bereit sind, auch hinter unserem eigenen Urteil zu stehen -ob vor unserem eigenen Gewissen, vor unbeteiligten Dritten oder ultimativ dem Beschuldigten selber.

Wo wir vor anderen mit unserem Urteil nicht bestehen können, sollten wir unser Wissen und Gewissen hinterfragen. Wo wir auch noch vor der Prüfung unseres eigenen Gewissens nicht bestehen können, sollten wir unsere Absichten hinterfragen.

Genauso, wie aber die Ablehnung eines anderen oft mehr über ihn sagt, als über uns, sagt unsere Reaktion darauf oft auch mehr über uns als über ihn. Prinzipiell gilt hier also genau das Gleiche. Denn genauso wie die Ablehnung, die wir durch andere erfahren, oft nur eine mehr oder weniger gut rationalisierte persönliche Reaktion ist, kann es auch wiederum unsere eigene Reaktion darauf sein.

Oft wird Ablehnung instinktiv mit eigener Ablehnung erwidert und erfahrene Abwertung dadurch, dass man sie ebenfalls mit Abwertung erwidert, zu entkräften versucht. Dennoch kommt es hier wie bei jedem Streit immer darauf an, wer zuerst angefangen hat und sich somit auch als erster zu rechtfertigen hat. Und insofern wir das nicht wahren, brauchen wir uns auch – zumindest vorerst – nicht für unsere Gegenreaktion zu rechtfertigen und können getrost erst einmal unsererseits eine Rechtfertigung einfordern.

Aber auch wenn wir nicht unbedingt selber in der Pflicht dazu stehen, mag es für uns durchaus sehr viel Sinn machen, auch uns selber zu hinterfragen. Nur ist das dann eben eine Angelegenheit, die wir nur mit uns selber auszumachen haben. Wenn wir uns hier selber hinterfragen, warum wir so reagiert haben, wie wir es nun einmal taten, so mag uns das zu Verständnis der Situation und Selbsterkenntnis verhelfen. Fragen wir uns darüber hinaus unvoreingenommen, ob vielleicht wirklich etwas mit uns nicht stimmt, so können wir damit Verbesserungsbedarf bei uns selber aufdecken – selbst dann, wenn es erfahrene Ablehnung und Abwertung durch andere weder verursacht hat, noch rechtfertigen kann.

Schließlich ist nicht jeder Fehler eine Schwäche, nicht jede Schwäche ein Laster und nicht jedes Laster ein Vergehen. Schuld sollten wir für unsere Vergehen empfinden, Scham für unsere Laster, für unsere Schwächen und Fehler hingegen nur Bedauern. Unsere Laster sind oft auch unsere Schwächen und die Quelle vieler unserer Fehler. Jedoch kommen nicht alle unsere Fehler und Schwächen von unseren Lastern. Genauso wenig ist es ein Laster, Schwächen zu haben, oder Fehler zu machen. Gibt man jedoch offensichtliche Fehler und Schwächen nicht vor sich selber zu, so macht man sich eines Lasters schuldig, der willentlichen Ignoranz. Dieses Laster ist auch ein Vergehen, nur eben eines gegen uns selber.

Wir können uns auch schuldig machen, ohne einem anderen etwas zu schulden oder ihm etwas zu Schulden kommen zu lassen. Wo wir selber Fehler und Schwächen haben, da schulden wir uns selber Ehrlichkeit im Bezug auf diese.

Wo andere uns also im weiten Rahmen zwischenmenschlicher Beziehungen ablehnen und damit womöglich verletzen, schulden wir es uns, uns zu unserem eigenen Wohl kritisch und ehrlich zu fragen, welche Fehler und Schwächen von unserer Seite womöglich mit dazu beigetragen haben. Ob ein Charakterzug oder eine Entscheidung von uns dabei eine Schwäche oder ein Fehler ist, ist natürlich rein situativ. Denn was in einer Hinsicht eine Schwäche ist, ist in einer anderen oft eine Stärke (und umgekehrt), und was in einer Situation genau das richtige Vorgehen ist, mag sich in einer anderen als Fehler erweisen. Deshalb auch ist es völlig legitim zu dem zu stehen, was sich hier womöglich als Schwäche oder als Fehler erwiesen hat, wenn es sich in allen anderen Lebenslagen bisher bewährt hat und wahrscheinlich auch weiter bewähren wird. Nur sollten wir trotzdem auch die Nachteile anerkennen, die es mit sich bringt.

Wozu philosophieren?

Der Philosophie ist nicht zu entkommen. Jeder hat zu irgendwas (s)eine Philosophie, wirklich philosophieren tut man allerdings viel seltener. Dabei bräuchte es genau das. Wo es sich ohnehin nicht vermeiden lässt eine Philosophie zu haben, sollte es nach Möglichkeit auch eine gute sein. Wer zudem dies nicht einmal versucht und nur eine Philosophie hat, ohne überhaupt zu philosophieren, den hat auch stets seine Philosophie. Und selbst dann muss die Philosophie, die einen hat, nicht einmal die eigene sein.

Wo man aber selber nicht philosophiert und auch keine Philosophie hat, da bekommt man stets eine gegeben.

Denn der Verstand verträgt genauso wenig ein Vakuum, wie die Natur es tut. Und genau wie bei der Natur, wird dieses Vakuum, stets von dem gefüllt werden, was sich ihm am stärksten aufdrängt. Was sich aber am stärksten aufdrängt, kann selten das Beste sein. Denn Qualität setzt Komplexität voraus und diese wiederum erfordert zu viel Aufwand, um von alleine mit Bereitschaft aufgefasst zu werden.

Und wo unser Verstand im Hinblick auf jene ersten Prinzipien und größten Ideen, die das Wesen der Philosophie ausmachen, leer ist, wird er, was ihm der Erscheinung nach diesen am nächsten kommt, entweder von außen übernehmen, oder sich von innen her durch seine eigenen Gefühle, Gedanken, Neigungen, Eindrücke, Vorurteile, Stimmungen usw. zu Kopf steigen lassen.

Wer nun nicht selber philosophiert und dennoch eine – nur eben keine eigene – Philosophie hat, wird stets in dieser gefangen sein und kann somit auch nicht wirklich selber frei und eigenständig denken oder handeln. Letzteres beruht ja auch stets auf ersterem.

Wer aber nicht selber und somit auch nicht frei und eigenständig zu denken und handeln vermag, der ist auch nicht mehr zu Anpassung oder wirklichem Wachstum fähig. Wer darüber hinaus aber noch nicht einmal eine Philosophie hat, der ist wie ein leeres Gefäß, das mit der Zeit durch den Verstand eines anderen gefüllt und übernommen werden wird, oder durch Zufall und Willfährigkeit ohne Sinn, Verstand oder Zusammenhang aller Begebenheiten und Eingebungen, die einem begegnen, gefüllt werden muss.

So hat man dann entweder gar keine eigene Philosophie, oder sogar überhaupt keine wirkliche Philosophie, sondern vielmehr nur ein Sammelsurium von Philosophismen, die zu nichts weiter taugen, als vor sich und anderen das Bedürfnis zu erfüllen, so zu wirken, als hätte man die Welt verstanden.

So viel Verirrung und Verwirrung es in der Philosophie bisweilen auch geben mag, müssen wir doch nun zugeben, dass keine Philosophie zu haben, auch keine Lösung sein kann. Wenn wir also um die Philosophie nicht herumkommen können, können wir sie auch gleich ernst nehmen und uns dem Philosophieren widmen. Was aber bedeutet es zu philosophieren? Und wozu sich darum bemühen, wenn man doch damit niemals wirklich fertig wird?

Philosophieren, das ist Denken in Reinform. Deshalb kann man auch über alles mögliche philosophieren, da es bei der Philosophie weniger auf den Gegenstand unseres Denkens ankommt, als wie wir über ihn denken.

Über etwas zu philosophieren, bedeutet darüber am allgemeinsten und tiefsten zugleich so weit nachzudenken, wie man dazu in der Lage ist. Philosophieren bedeutet alles und jedes auf seine Gründe und Zusammenhänge zu untersuchen, dabei immer weiter zu immer tieferen Gründen und immer größeren Zusammenhängen vorzudringen, um sich schließlich daran zu machen, alles was man ergründet, und alles, was man in Zusammenhang gebracht hat, zu vereinen.

Das Ideal der Philosophie und das Ziel des Philosophierens ist es somit, von allem eine Theorie und letztendlich auch eine Theorie von allem zu haben. Ob es nun möglich ist dieses Ziel zu erreichen oder nicht, menschlich ist es doch niemals machbar. Denn die Begrenztheit unseres menschlichen Verstandes erlegt es uns auf, entweder systemisch aber tendentiell flach und unvollständig, oder tiefer und angemessener, dafür aber auch sporadisch und zusammenhangslos zu denken.

In der Philosophie gibt es also immer ein fundamentales Dilemma zwischen dem Bedürfnis, die Welt möglichst gut erklären zu können, und dem, sie möglichst gut zu erkennen. Erklärt wird sie durch Modelle und Systeme, erkannt aber durch die Reflektion des wirklichen Lebens in seinen Einzelheiten, in denen es uns begegnet. Wirkliches Verständnis erfordert folglich beides, also sowohl Erkenntnis als auch Erklärung.

Philsophieren wir derartig lange genug, lernen wir aber nicht nur die Welt (zu) verstehen, sondern auch uns selber zu verstehen. Denn was wir sind, ist in großen Stücken nur das, was die Welt aus uns gemacht hat und was wir in Reaktion darauf für uns aus ihr gemacht haben.

Leiden ist der Preis des Lebens

Buddha lehrte einst, dass unsere Erwartungen die Wurzel unseres Leidens sind. Das ist wahr, aber auch nicht die ganze Wahrheit. Denn unsere Erwartungen sind letztendlich ein untrennbarer Teil des Lebens und sind in dem Leid, dass sie hervorrufen können, durch genau denselben Umstand bedingt, wie alle unsere anderen Leiden, alle unsere Empfindungen und schließlich unser gesamtes Leben überhaupt.

Durch Erwartungen werden wir dem Leiden auf zweierlei Wegen ausgesetzt. Sie bedrücken uns, wo sie niedrig sind und führen zu Enttäuschung*, wo sie zu hoch sind. Theoretisch wäre es uns möglich einen Mittelweg dazwischen zu finden und immer nur das zu erwarten, was auch passieren wird, oder nur und genau nur das zu bewirken, dass wir erwarten.

Da wir aber weder allwissend noch allmächtig sind, müssen wir unweigerlich Fehler bei unseren Erwartungen machen. Man könnte sogar sagen, dass wir eigentlich nur Fehler machen können, da wir nie exakt richtig liegen und nie exakt nur das erreichen, was wir wollen. Es kommt dabei eben nur darauf an, wie schwerwiegend unsere Fehler sind, wie sehr also unsere Erwartungen, dass etwas in der Welt geschieht, und der Einfluss, den wir darauf im Sinne unserer Erwartungen durch unser Handeln nehmen, sich decken.

Was hier für unsere Erwartungen gilt, gilt auch für alle anderen Kräfte die uns in unserem Leben bewegen, uns dadurch überhaupt erst am Leben erhalten und somit ein unabdingbarer Teil des Lebens sind. Denn Leben setzt immer Veränderung voraus und diese wiederum muss Kohärenz, Richtung und Struktur haben um eine wirkliche Bewegung zu sein und uns somit überhaupt erst zu einem Lebewesen zu machen.

Hinter dem, was uns im und zum Leben bewegt, stehen entsprechend antreibende Kräfte (Begierden, Bedürfnisse, Triebe) und anziehende Kräfte (Vorstellungen, Wünsche, Visionen, Ziele -kurz also verschiedene Erwartungen). Und eben diese Kräfte spielen dabei stets zusammen und bestimmen in ihrem Verhältnis den allgemeinen Charakter verschiedener Lebensarten. Dabei sind sie oft entgegengesetzte Pole, wobei Leben je nach der Ausprägung der antreibenden Kräfte vitaler, nach der Ausprägung der anziehenden Kräfte aber komplexer wird.

Wir Menschen sind dabei unter allen uns bekannten Lebewesen diejenigen, bei denen die anziehenden Kräfte im Verhältnis zu den antreibenden am stärksten ausgeprägt sind und die entsprechend am komplexesten, „aber“ auch empfindsamsten sind (eigentlich sind wir ja gerade deshalb so komplex, weil wir so empfindsam sind).

Das Zusammenspiel der Lebenskräfte bestimmt für uns was Leid und Glück ist, damit diese auf Weg unserer Lebenskraft ihre Befriedigung erwirken können. Leid ist dabei insofern unvermeidlich, da es als komplementäres Gegenstück zu Glück existieren muss, damit dieses überhaupt eine Bedeutung für uns haben kann. Die Funktion des Glücks liegt schließlich nicht darin, uns glücklich zu machen, sondern unserem Leben Antrieb und Orientierung zu geben und es so überhaupt erst zu ermöglichen. Deshalb auch ist es stets relativ. Egal wie gut oder wie schlecht es uns gehen mag, es wird immer Dinge geben, die uns glücklich(er) machen und solche die Leid hervorrufen. Ein Leben frei von Leid ist also weder möglich noch wirklich begehrenswert. Weniger Leid bedeutet zwangsläufig auch weniger Glück und je geringer die Amplitude zwischen beidem, umso weniger lebendig sind wir.

Wollten wir tatsächlich in immer währender Eintracht leben, müssten wir es in rein vegetativ tun.

Durch die Lebenskräfte und deren Zusammenspiel differenziert sich unsere Wahrnehmung und unser Empfinden, durch die Formen die es annimmt unser Charakter.

Existieren kann man – zumindest theoretisch – in reinem Glück oder Leid, wirklich leben aber nicht mehr. Denn um zu leben brauchen wir einen Grund. Wo dieser aber immer oder niemals erfüllt wird, beginnt unser Leben jeden Sinn zu verlieren und damit auch jeden Grund für dessen weitere Fortführung. Würden wir stets kriegen, was wir wollen; würden wir bald aufhören zu wollen und mit unserem Wille wäre dann auch unser Leben zu Ende und mit ihm auch all die Vielfalt an Empfindungen, Erfahrungen, Eindrücken, Gedanken, Vorstellungen, Träumen usw. die unser Leben in seiner Einzigartigkeit und damit letztlich auch uns selber ausmacht.

Wollen wir leben, dürfen wir niemals wirklich zur Ruhe kommen. Wir müssen ständig nach Dingen streben, die wir (noch) nicht haben und müssen uns dabei immer dem Scheitern und Erfolg wie dem Glück und dem Leid gleichermaßen aussetzen. Deshalb ist Leid ein unvermeidlicher Teil und Preis unseres Lebens.

*Enttäuschung liegt darin, dass einerseits unsere Erwartungen untertroffen werden und andererseits darin, dass diese überhaut falsch waren. Wir sind also bei jeder Enttäuschung auch immer von uns selber enttäuscht.

Was ist Demokratie?

Unsere populäre Vorstellung von Demokratie geht davon aus, dass Demokratie die Herrschaft des Volkes ist, entweder über sich selbst (direkte Demokratie), oder über die an seiner Stelle Herrschenden (repräsentative Demokratie). Dies ist jedoch nur die halbe Wahrheit. Denn egal wie stark eine Herrschaft auch immer sein mag, man muss sich doch immer die Frage stellen, inwieweit sie selber nicht auch wiederum beherrscht wird oder beherrschbar ist.

In der Demokratie nun gestaltet es sich wie folgt: Die Herrschaft des Volkes ist stets die aller Einzelnen übereinander, sowie die ihrer Gesamtheit über jeden Einzelnen zugleich, wobei Letzteres überwiegt. Jeder Einzelne, und damit auch die Gesamtheit des Volkes, passt sich stets dem Eindruck der Mehrheitsmeinung an. Demokratie ist also nicht die Herrschaft der Mehrheit, sondern die Herrschaft der Öffentlichkeit als Stellvertreter der Mehrheit, unter der Bedingung verschleiernder Illusion. Die öffentliche Meinung kann nur solange die der Mehrheit sein und damit die Mehrheit selber beherrschen, wie diese sie auch für ihre eigene hält.

Demokratische Legitimität ist also immer eine Illusion. Sie beruht nicht auf dem, was die Mehrheit tatsächlich denkt, fühlt oder will (die sog. Mehrheitsmeinung), sondern was jeder Einzelne (und damit auch die Gesamtheit aller) denkt, was die Mehrheit denkt, fühlt und will (die öffentliche Meinung). Ersteres wird sich dabei immer früher oder später Letzterem anpassen, und Letzteres den Kräften, denen es gelingt auf die öffentliche Meinung den stärksten Einfluss zu nehmen und dabei die Illusion, dass sie es gerade nicht tun, am besten aufrechterhalten und bewahren können. Das führt nun dazu, dass sich subtile, unpersönliche und unbewusste Kräfte gegenüber offenen, direkten und harten durchsetzen und dadurch zwar weniger zwanghaft aber auch weniger transparent wirken.

Hierin liegt auch die versteckte Stärke der Demokratie. Ihr illusionärer Charakter ist in dem selben Maß, wie er für das Volk eine Verschleierung tatsächlicher Machtverhältnisse ist, immer auch eine Bedingung, diesen Schleier unter dem sich die Macht verbirgt, durch ein gewisses Maß an Zurückhaltung weiterhin aufrechtzuerhalten. Dass hier immer unter dem Deckmantel der Illusion operiert wird, hat also den Vorteil, dass auch nur unter diesem Deckmantel operiert werden kann. Deshalb verbietet es sich auch, allzu schnell und/oder allzu hart die eigene Macht auszuüben, um sich nicht bloßzustellen und den schützenden Schleier dadurch zu verlieren.

Genauso wie die Erfordernisse der Aufrechterhaltung des Eindrucks von Demokratie die Machthaber einschränken, schränken sie auch unsere Sicht auf ihr Handeln und damit unsere Möglichkeiten, sie zur Verantwortung zu ziehen, ein.

Wir sind zwar freier wie in anderen Systemen, aber nicht annähernd so viel mehr freier wie wir denken und denken wollen und gerade deshalb immer viel weniger frei, als wir es eigentlich sein könnten.

Demzufolge, erfordert die Aufrechterhaltung von Freiheit in der Demokratie weniger das Bewusstsein und die Kritik von denen, die über das Volk formal und abhängig von dessen Toleranz zu ihnen – zumindest vermeintlich – herrschen, sondern das Selbstbewusstsein des Volkes, im Bezug darauf, wie es selber denn nun durch die öffentliche Meinung beherrscht wird. Macht gilt es hier zuerst in der Wirkung, die sie in einem selber hervorbringt, zu erkennen und erst anschließend auf ihre Quelle zurückzuverfolgen. Es ist also die Pflicht eines jeden Bürgers, sich, bevor er eine Entscheidung trifft, immer zuerst der Kräfte, die er durch ihre Wirkung auf ihn selber bemerken kann und die ihn in dieser Entscheidung auch immer beeinflussen werden, gewahr zu werden und sich ihres Einflusses zu erwehren

Was ist Gesundheit?

Um zu verstehen, was Gesundheit ist, müssen wir uns erst fragen, was Krankheit ist. So können wir die Gesundheit erst einmal darauf eingrenzen, was sie nicht sein kann, auch wenn wir sie nicht einfach als Gegenteil der Krankheit definieren können.

Also was ist Krankheit? Krankheit kann im Gegensatz zu Gesundheit, nicht nur ein Prozess, sondern v.a. auch ein Zustand sein. Man müsste sogar sagen, dass sobald unser Leben die Qualität eines Zustandes hat, wir als krank gelten müssen. Denn Gesundheit setzt Lebendigkeit voraus, Lebendigkeit erfordert Leben und Leben bedeutet Bewegung, oder vielmehr Veränderung. Wo sich nichts verändert, wo Prozesse zu Zuständen geworden sind, oder von diesen erstickt werden, kann es somit auch keine Gesundheit im eigentlichen Sinne mehr geben.

Krankheit kann aber auch ein Prozess sein, nie aber ein Prozess des Wachstums im Sinne unseres menschlichen Wesens. Sie hat als Prozess entweder den Charakter eines Zerfalls bzw. einer Degeneration (je nachdem ob das Leben schwindet und/oder entartet), oder aber, sofern es ein Wachstum dabei gibt den einer Wucherung, also eines entarteten und/oder entartenden Wachstums (wie bei Krebs).

Was Krankheit wohl am entscheidendsten auszeichnet ist, dass wir an ihr Schaden nehmen und dass sie Schmerzen verursacht, dass sie also Leiden hervorruft. Je schlimmer die Krankheit, desto stärker das Leid, und je länger sie dauert, umso mehr gräbt es sich in unser Leben ein. Der Schaden, den wir dabei erleiden, kann sowohl an unserer Substanz, als auch an unserer Form geschehen; er kann uns vermindern oder entarten. Das ist es was die Krankheit auszeichnet.

Was ist aber nun die Gesundheit?

Wenn in einem Zustand zu sein immer Krankheit bedeuten muss, dann muss Gesundheit erfordern, dass unser Leben eine prozesshafte Qualität annimmt. Wir dürfen nicht nur einfach am Leben sein, wir müssen auch lebendig sein. Was sind nun aber die Eigenschaften eines solchen gesunden Lebensprozesses?

Zuerst einmal muss er aktiv und nicht passiv sein. Unser Leben ist stets in dem Maß gesund, wie wir selber diejenigen sind, die es leben. Damit wir aktiv leben, muss unser Leben im wesentlichen durch unsere eigene Tätigkeit bestimmt und soweit wie möglich auch von dieser erfüllt sein. Diese Tätigkeit. die unser Leben erfüllt, muss dabei selbstbestimmt sein. Sie erfordert dafür die Anleitung durch die Eigenaktivität unseres Verstandes, sowie den Antrieb durch die Eigenaktivität unseres Willens.

Die Tätigkeit sollte dabei aber auch möglichst viel von uns selber mit einbeziehen, damit sie uns auch möglichst vollständig beleben kann. Und um dies zu tun, muss sie beanspruchend sein. Sie muss den Einsatz unserer Fähigkeiten herausfordern. In dem Maß wie sie das tut, wie sie uns also herausfordert, in dem Maß regt sie uns auch zum Wachstum an.

Wo wir uns aber unserer Fähigkeiten bedienen, da sind auch immer unsere Metafähigkeiten, die uns dabei helfen sie zum Einsatz zu bringen (Selbstreflektion, Antizipation, Selbstbeherrschung usw.) mit im Spiel. Für sie gilt genau dasselbe. Sie müssen herausgefordert und zum Wachstum angeregt werden.

Gesundheit ist also ein Leben, das bestimmt und erfüllt ist von qualitativem Wachstum durch herausfordernde eigene Tätigkeit unter eigenem Antrieb, eigener Anleitung, unter Gebrauch unserer eigenen Fähigkeiten und unter Verfolgung von selbstgewählten Zielen (dieser Punkt ist nur insoweit wichtig, wie er die vorhergehenden mitbedingt).

Was ist ein Denker?

Was ein wahrer Denker ist, ist der Natur der Sache nach nur schwer definierbar. Schließlich ist das Denken durch dessen Primat der Denker in seiner Tätigkeit bestimmt wird, seiner Natur nach ja auch nichts dingliches, sondern ein Prozess. Wenn wir also die Natur des Denkens und damit die Natur des Denkers zu beschreiben versuchen, sollten wir, um sowohl der Natur der Sache als auch der Person des Denkers gerecht zu werden, unseren Beschreibungsversuch hier nur als vorläufig gelten lassen und immer mit Vorbehalt betrachten. Unsere Definition ist also ein Annäherungsversuch und kann auch nur das sein. Schließlich haben wir es bei Denker selber nicht mit einem festen Ziel zu tun.

Unter dem ständigen Einfluss des Denkens mit seinen zahlreichen Variationen, ähnelt sich ein Denker weder im Moment mit den anderen Denkern, noch dazu über die Zeit mit sich selber im Bezug auf seine Gedanken und deren bestimmenden Einfluss auf sein Leben. Was man denkt und zu welchem konkreten einzigartigen Menschen einen das macht, ist hier weniger entscheidend als das Ausmaß und die Intensität in der man es tut bzw. getan hat.

Jeder Mensch hat Gedanken, der Denker jedoch hat Gedanken gehabt. Seine Gedanken liegen stets hinter ihm. Er beschäftigt sich mit einer Sache immer nur so weit, wie es dem Verständnis halber nötig ist und geht dann sogleich zur nächsten über. Dadurch, dass er dies aber anhaltend über einen langen Zeitraum tut, baut der Denker durch die sich so aufbauenden Gedankengebäude auch sich selber mit auf und gewinnt so an einer Tiefe, die Menschen, die immer nur bei dem verweilen, was ihnen bereits bekannt ist, verloren geht. Auch gewinnt man durch das ständige Denken eine gewisse Freiheit gegenüber dem, was man bereits erdacht hat. Man ist zwar immer noch von seinen Gedanken geprägt, aber nicht mehr von ihnen gefangen, sondern bereit über sie hinauszugehen.

Wenn das Denken, welches den Denker bestimmt, nicht durch seine Auswirkungen in bestimmten Gedanken erkennbar ist, woran erkennt man den Denker dann? Ganz einfach an allem anderen worauf sich sein ständiges Denken auswirkt: an seinem Verhalten, seinem Charakter seinem Umgang mit den Mitmenschen, seiner Einstellung zu seinen Umständen und nicht selten auch seinem Lebenslauf.

Ein Denker mag nicht alles was er tut und glaubt selber erdacht haben, er wird jedoch immer darüber nachdenken müssen, genauso über das, was alle Anderen tun und glauben. Deshalb auch kann für einen wahren Denker nichts wirklich Letztgültigkeit oder Autorität besitzen. Über alles zu denken, bedeutet alles zu hinterfragen. Was hinterfragt wird, kann keine Letztgültigkeit haben und keine Autorität behalten.

Der Denker kann also allein schon aus Prinzip keinem Gedankengebäude, keiner Lehrmeinung und erst recht keinem Menschen irgendeine Autorität einräumen. Und er tut es auch nicht in der Praxis. Denn je mehr man über etwas nachdenkt, umso mehr werden auch immer dessen Mängel offensichtlich und umso präsenter unwahrgenommene Verbesserungsmöglichkeiten.

So sieht der Denker in allem, womit er zu tun hat, mit der Zeit immer, welche Fehler es hat und was dabei fehlt. Das macht ihn kritisch. Ein wahrer Denker ist also immer auch ein kritischer Denker. Seine Ablehnung von Autorität und seine kritische Haltung machen den Denker zum Nonkonformisten und zum Rebell.

Er kann und will sich keinem Gruppendruck, keinem Befehl, keiner bloßen Sitte und keiner Konvention unterwerfen und wird auf diese immer nur so weit Rücksicht nehmen, wie er sie für sinnvoll, berechtigt und wirksam hält. Er rebelliert jedoch nicht aus Eigennutz, aus Spaß, aus Trotz oder aus Boshaftigkeit, sondern aus Liebe zur Wahrheit.

Denn wenn es eines gibt, dem sich der Denker nicht entziehen kann, so ist es die unaufhörliche und immerwährende Suche nach der Wahrheit. Diese ist es, welche als Sinn allen seines Denkens dieses antreibt und auch antreiben muss. Für ihn gilt keine Regel, ausser die Regel der Suche nach Regeln. Das bedeutet im doppelten Sinn die Regeln seiner Suche (also die Prinzipien von Verstand, Logik und Vernunft) sowie die Regeln, die er in der Welt erkennt (also die Muster in den Dingen und ihren Relationen zueinander).

Wo er diese Herangehensweise von der Domäne der Erkenntnis auf die des Handelns überträgt, da begibt er sich auf das Gebiet der Moral. In letzter Konsequenz ist ein Denker in praktischen Belangen auch somit immer ein Macher. Denn die Frage danach, was istm und die danach, was zu tun ist, folgen nicht nur aufeinander, sie werden auch auf die selbe Art beantwortet: mit Klarheit in der Wahrnehmung, (vorläufiger) Unbestimmheit im Urteil und trotzdem konsequenter Befolgung desselben.

Was ist Einsamkeit?

Einsamkeit ist die Nähe des Befremdlichen. Befremdlichkeit ist das Gegenteil von Geborgenheit. Das ist nicht zu verwechseln mit dem bloßen Fehlen von Geborgenheit, der Einsamkeit. Man kann zwar auch alleine einsam sein, ist aber doch immer dort am einsamsten wo man einsam und dazu nicht allein ist. Das mutet zuerst einmal widersprüchlich an. Müsste nicht das Alleinsein als Vorstufe zu Einsamkeit diese noch verstärken, wenn beide zusammen kommen? Wie kann es dann sein, dass wir, wenn wir einsam sind, dies unter Menschen oft stärker empfinden als wenn wir nur mit uns und unserer Einsamkeit alleine sind?

Einsamkeit wird dadurch gesteigert, dass sie wahrgenommen wird und am stärksten wird sie dort wahrgenommen, wo sie im Kontrast steht. Eben dieser Kontrast ist die Befremdlichkeit.

Befremdlichkeit und Fremdheit müssen dabei voneinander unterschieden werden. Nicht alles Befremdliche ist immer auch fremd und nicht alles Fremde unbedingt auch befremdlich. Wie fremd uns etwas ist, hängt davon ab wie bekannt uns etwas ist, wie befremdlich es ist, davon wie vertraut es uns ist.

Bekanntheit ist eine Voraussetzung von Vertrautheit, führt allerdings nicht unbedingt immer zu ihr. Es kommt ja nicht nur darauf an, wie bekannt uns etwas wird, sondern v.a. was uns davon bekannt wird. Vertraut wird uns dabei immer nur das, dem wir auch vertrauen können, wovon uns also vertrauenswürdige Qualitäten bekannt werden.

Vertrauen können wir dabei v.a. solchen Dingen die auf uns einen kohärenten, verständlichen, akzeptablen, sowie allgemein guten und annehmbaren Eindruck machen. Stimmt dieser Eindruck wird er durch zunehmende Bekanntheit auch zunehmend vertieft und verstärkt werden, stimmt er nicht, wird er mit ihr schwinden und irgendwann in der Enttäuschung in sein Gegenteil umschwingen. Alles, dem wir im Verlauf dieses Prozesses nicht trauen können -ob nun schon beim Kennenlernen oder erst bei der Enttäuschung-, hinterlässt bei uns immer einen befremdlichen Eindruck. Es wirkt irgendwie nicht richtig und womöglich auch noch wie etwas, was besser gar nicht sein sollte (dann wäre es verstörend) – oder zumindest nicht in unserer Nähe.

Wo aber das, was nicht sein sollte, sich uns aufdrängt, da fühlen wir uns einsam, weil es das auf Vertrautheit beruhende Gefühl der Geborgenheit stört. Geborgenheit haben wir nur dort, wo wir uns zu den Dingen und v.a. zu den Menschen, die uns nahestehen und mit denen wir es zu tun haben, dank Vertraulichkeit auch verbunden fühlen. Wo wir aber stattdessen nur vom Fremden, oder sogar vom Befremdlichem umgeben sind, fühlen wir uns einsamer wie sonst nirgendwo anders. Dann fühlen wir bisweilen sogar, dass wir derjenige sind der fremd ist, dass wir nicht hergehören, dass mit uns etwas nicht stimmt und wir fehl am Platz sind.

Wir werden also je mehr wir von Befremdlichkeit umgeben sind, uns auch immer mehr selber fremd und irgendwann schließlich auch selber befremdlich. Wo wir dann nicht einmal mehr mit uns selber geborgen und vertraut sein können, sind wir vollkommen verloren. Denn nichts und niemand ist uns näher als wir selber. Und wo wir unsere wahrgenommene Befremdlichkeit gegenüber anderen internalisiert haben, kommen wir uns selbst auch befremdlich vor und verlieren die natürliche Vertrautheit zu uns selber.

Je mehr wir also mit Befremdlichkeit zu tun haben, umso mehr sie sich uns aufdrängt, umso mehr verlagert sie sich auch nach innen und nimmt dabei an Schwere zu.

Erst wird uns unsere Umgebung befremdlich, dann unsere Mitmenschen, dann wir gefühlt gegenüber unseren Mitmenschen und unserer Umgebung und schließlich wir uns selber.

Was ist Tugend?

Für Narren ist sie ein Status, für normale Menschen eine Eigenschaft, für die Weisen aber kann sie immer nur eine Tätigkeit sein.

Denn Tugend ohne Tun kann es nicht geben, Tun ohne Tugend aber sehr wohl. So stellt sich dem Weisen bei jedem Tun immer die Frage, wie tugendhaft es denn ist.

Stellt man sein Tun so nach dem Kriterium der Tugendhaftigkeit immer wieder erneut auf die Probe, so wird das langfristig immer mehr dazu führen, das zu Tun, was an sich schon tugendhaft ist, und was immer man tut auch immer tugendhaft auszuführen. Was man tut, das soll richtig getan werden, und getan werden soll auch das, was richtig ist.

Und warum auch nicht? Tun muss man sowieso immer irgendetwas und ausführen muss man es auch irgendwie. Sich dabei zu entscheiden lässt sich ohnehin nicht vermeiden. Denn wer tut, der muss auch lassen und wer unterlässt, entscheidet sich gegen das Tun – ob es nun so gemeint und/oder gewählt war oder nicht.

Entscheiden wir uns richtig, so ist der Aufwand, den es uns macht, anfangs erst einmal höher. Entscheiden wir uns aber gar nicht, so werden wir entschieden und bekommen damit langfristig zu den ungelösten Herausforderungen des Lebens meistens nur noch mehr neue hinzu. Fahrlässigkeit ist nicht Schonung, sondern lediglich Aufschub mit Zinsen.

Und nicht nur das. Wer sich nicht selber entscheidet, dessen Leben steht nicht mehr unter der Leitung seines eigenen Willens und folglich gehört es ihm auch nicht mehr. Er hat ja nicht einmal mehr einen eigenen Willen. Es ist nicht mehr sein Leben und die Tür steht damit offen für andere es zu übernehmen und ihm ihren Willen aufzudrücken. Und wenn nicht von Außen ein anderer unser Leben im Griff hat, dann sind es stattdessen von innen die Kräfte unser eigenen Triebe. Aber auch diese sind von außen recht einfach zu vereinnahmen.

So ist der Preis, den man für die Vernachlässigung der Tugend zahlt, also stets, dass man zum Gefangenen der eigenen Umständen, zum Sklaven der eigenen Triebe und zum Opfer anderer Menschen werden muss. Und wie könnte sich so etwas überhaupt ein Leben schimpfen?

Es gibt also keine Alternative zum tugendhaften Leben, weil es keine Alternative zu einem Leben in Freiheit gibt und ein Leben in Freiheit nicht ohne ein Leben in Tugend möglich ist. Wer nicht nach eigenem Willen lebt, der lebt auch nicht wirklich und wer nicht nach eigenem Gewissen lebt, der kann auch nicht wirklich nach eigenem Willen leben. Man lebt also entweder nach eigenem Gewissen und eigenem Willen oder man lebt überhaupt nicht wirklich. Und genau das ist es, was es bedeutet tugendhaft zu leben.

Was ist Ehrgeiz?

Man kann Ehre als einen Kodex oder als einen Status sehen, also als etwas das man tut, oder etwas das man hat. In letzterem Fall, sieht man die eigene Ehre nicht durch eigenes Fehlverhalten bedroht, sondern durch Misserfolg bzw. Mangel an Erfolg- oder um genau zu sein den Eindruck davon. Man wird somit durch sein Ehrgefühl dazu getrieben, sich stets aufs Neue zu beweisen, um nicht unter der Schande des Ehrverlusts zu leiden. Die daraus resultierende Ambitioniertheit kennen wir als Ehrgeiz.

Der Ehrgeizige ist also im Grunde genommen durch auf Ehrgefühl beruhendem Stolz angetrieben und der Stolz wiederum insgeheim durch Schamgefühl. Der Ehrgeizige kann und will seinen Stolz nicht aufgeben. Er muss um jeden Preis gewinnen oder sich zumindest versichern, dass er es nach allen Kräften versucht hat, um nicht unter der Schande einer Niederlage leiden zu müssen.

Das bringt ihn dazu, sich über die eigenen Befindlichkeiten genauso hinwegzusetzen, wie über die anderer. Im Ehrgeiz kennt man keinen Unterschied zwischen inneren und äußeren Hindernissen und Widerständen. Wodurch, wie und warum die eigene Ehre bzw. der Versuch diese zu beweisen bedroht wird ist egal, es kommt allein darauf an, dass sie bedroht wird. Und genau das macht den Ehrgeiz zu einer zwiespältigen Angelegenheit.

Durch Ehrgeiz können wir uns mit Hilfe unseres Egos über uns selbst und über andere hinwegsetzen. Wir können so unsere Grenzen überwinden. Wir können aber auch genauso die Grenzen anderer verletzen, denn der Ehrgeiz kennt bei beiden gleichermaßen keine Grenzen. Wir können allerdings auch nicht anders.

Ehrgeiz macht also nur immer so viel Sinn wie das, womit er sich zu beweisen sucht und so wenig Sinn wie das, wogegen er sich durchsetzt. Er treibt uns zu Größe genauso wie zu Größenwahn und kann dabei Gutes wie Böses gleichermaßen mit seiner Kraft voranbringen.

Warum ist die größte Stärke des Menschen zugleich seine größte Schwäche?

Die Anpassungsfähigkeit des Menschen ist seine größte Stärke und zugleich sein größter Fluch. Durch Anpassungsfähigkeit können wir uns auch an das Schlimmste gewöhnen und es ertragen lernen. Wir können aber genau so lernen, Schlimmes zu ertragen, was wir eigentlich ändern könnten und sollten- ob es nun uns oder andere betrifft.

Treiben wir es mit der Anpassung an das Schlimmste dabei zu weit, so gewöhnen wir uns so sehr daran, dass wir es am Ende für normal halten. Und genau auf dem selben Weg wird, das was wir für normal halten, auch zu dem, was wir für das Gute halten- auch dann, wenn es eigentlich schlecht und/oder böse ist.

Anpassung macht uns unsere Umstände aber nicht nur erträglicher, sondern auch umgänglicher. Je mehr wir uns unseren Umständen anpassen, umso mehr passen wir auch in sie und umso mehr können wir sie somit auch unseren Vorstellungen, Wünschen und Bedürfnissen anpassen.

Auf dem selben Weg durch den wir so Dinge durch Anpassung veränderbar machen und auch in unserem Sinne veränderbar machen können, können sie aber auch uns verändern und wir uns in ihnen verlieren.

Denn je mehr wir uns anpassen und verändern, um etwas zu verändern, umso weniger sind wir noch wir selbst und umso weniger bedeutungsvoll und unserer ursprünglichen Absicht treu ist dann noch die durch uns hervorgerufene Veränderung. Nicht wenige Menschen gehen so unter in dem, was sie verändern wollen und verinnerlichen mit der Zeit, was sie anfangs doch nur von innen verändern wollten.

Unsere Anpassungsfähigkeit ist also stets zwiespältig: Sie erlaubt Gewöhnung an das Gute, wie an das Schlechte gleichermaßen, kann Leid mindern und dazu führen, dass es unnötig hingenommen wird, und macht uns gleichermaßen ohnmächtig wie wirkungsvoll. Sie kann uns helfen über den Dingen zu stehen und uns in diese herabziehen. Sie kann uns helfen, uns von Schlechtem zu trennen und Gutes in uns aufzunehmen, aber umgekehrt genauso dazu bringen, uns vom Guten fernzuhalten und dem Schlechten anzugleichen.