Ist Betrug eine Form von Gewalt?

Betrug ist an sich immer ohne Zwang, beraubt uns aber trotzdem unserer Entscheidungsfreiheit. Wir hätten uns ja theoretisch immer anders entscheiden können, wenn wir es besser gewusst hätten, nur konnten wir es eben gerade wegen des Betruges nicht besser wissen.

Wer betrogen worden ist, kann sich also trotzdem noch entscheiden, nur eben nicht mehr frei. Denn wirklich frei kann eine Entscheidung immer nur dann sein, wenn sie auch realistisch ist, wenn sie also auf richtigem Verständnis dessen, worüber man sich entscheidet, beruht. Genau dieses Verständnis wird durch Betrug untergraben. Das macht es auch so schwer, Betrug von Irrtum zu unterscheiden.

Wo wir eine Sache von uns aus nicht richtig erkennen, schränken wir uns selber im Umgang damit in unserer Freiheit ein. Nur sind wir in diesem Fall selber Schuld an unserer Selbsteinschränkung, aber auch selber in der Lage, uns aus dieser zu befreien.

Durch Manipulation wird uns diese Selbsteinschränkung von außen eingeflößt, weshalb wir nicht mehr die Schuld daran tragen und auch nicht so einfach alleine in der Lage sind, uns von ihr zu befreien.

In jedem Fall aber kann uns die richtige Erkenntnis oder die Erkenntnis der Falschheit unseres Irrtums, ob selbstverschuldet oder eingeflößt, befreien. Wir bemerken unseren Fehler dadurch, dass wir das Richtige erkennen, oder dadurch, dass wir unseren Irrweg bemerken. Wir müssen dabei, sofern der Irrtum von uns kommt, uns selber erkennen, und sofern es von einem anderem kommt, diesen und seinen Betrug durchschauen. Letzteres ist dabei wesentlich schwerer, weil wir zu uns selber immer mehr Zugang haben als zu anderen Menschen.

Wer uns betrügt, nimmt uns im Gegensatz zum Zwang durch Gewalt weder unsere grundsätzliche Entscheidungsfähigkeit, noch unsere Optionen. Die Gleichung wird durch Betrug nicht verschoben, sie wird jedoch verzerrt. Wir können immer noch dasselbe tun, können aber nicht mehr sehen, dass wir es tun können und es somit auch nicht mehr realisieren.

Sich gegen Betrug zu wehren, erfordert einen komplett anderen Ansatz, als die Verteidigung gegen Gewalt.

Gegen Gewalt wehrt man sich, indem man dem Gegner durch Flucht entkommt oder ihn durch Gegenwehr überwindet, oder doch zumindest abschreckt.

Gegen Betrug hilft hingegen auch der größte Mut und auch noch so große Kraft überhaupt nicht. Hier geht es nicht darum, den Gegner, sondern sich selbst zu besiegen. Der Betrüger arbeitet mit unseren Schwächen, Fehlern und Irrtümern. Diese gilt es deshalb zu erkennen, wo wir betrogen worden sind, und zu minimieren, um in Zukunft nicht betrogen zu werden, wobei Ersteres in Letzteres übergehen sollte.

Wir müssen selber merken, dass wir uns täuschen, dass wir auch getäuscht worden sind, durch wen dies geschah und zu welchem Zweck es getan wurde, um den Betrug komplett zu durchschauen. Dies gilt es genauso der Reihe nach zu erkunden, also erst durch Selbstreflektion die eigenen Fehler zu erkennen, dann deren Entstehung nachzuverfolgen, die Ursache davon beim Betrüger zu erkennen und schließlich ihn in Vorgehen und Motiven zu durchschauen.

Lebe gefährlich

Auf den ersten Blick mag es so scheinen, als wäre es am besten, ein Leben frei von allen Sorgen, Übeln und Gefahren anzustreben und es dabei so angenehm wie möglich zu haben. Doch ist das wirklich so? Ist das angenehmste Leben immer das Beste?

Zwar brauchen wir in unserem Leben immer ein gewisses Maß an Sicherheit, um es uns möglichst lange zu erhalten und uns nicht ständig mit seinem bloßen Erhalt beschäftigen zu müssen. Treiben wir dies jedoch auf die Spitze und versuchen zu maximieren, was wir eigentlich nur im Mindestmaß brauchen, erstickt unser Leben darunter. Die Gefahr der Gefahrlosigkeit besteht darin, dass das Leben für uns seinen Reiz verliert und wir damit unsere Vitalität.

Denn wo unser Leben vor allen Gefahren sicher ist, vernachlässigen wir dessen Erhalt und damit zugleich den sorgfältigen Umgang mit den Dingen, die nicht nur unser Leben erhalten, sondern auch dessen Qualität bestimmen.

Genauso wie wir aber vergessen, was wir in der Hand haben, um unser Leben zu bestimmen, vergessen wir auch, was wir gerade nicht in unserer Hand haben. Je mehr wir vor der Realität und deren Bedrohungen für unser Überleben abgesichert sind, umso weniger beachten wir sie und ihren Einfluss auf unser Leben.

Wir übersehen außerdem die Vergänglichkeit unseres Lebens und damit die ihm und jedem seiner Momente angemessene Wertschätzung und Dankbarkeit.

Ein Leben frei von allen Beeinträchtigungen ist zudem ein Leben in ewiger Gegenwart. Denn wo uns aus der Vergangenheit nichts mehr beschäftigt und aus der Zukunft nichts mehr droht, gibt es für uns kaum noch einen Grund, deren Existenz ernstzunehmen.

Und doch, obwohl wir so immer in der Gegenwart leben, werden wir dadurch nicht gegenwärtiger. Denn jede Gegenwärtigkeit beruht immer auf Geistesgegenwart. Unsere Geistesgegenwart aber ist an die Aktivierung durch unsere Instinkte gebunden, während unsere Instinkte, die sich zum Zweck des Überlebens entwickelt haben, nur solange wach bleiben, wie sie dafür auch noch erforderlich sind. Mit unseren Instinkten, verlieren wir auch unsere Lebenskraft, unseren Lebenswillen und unseren Scharfsinn, ganz einfach deshalb, weil wir sie nicht mehr brauchen.

Aber nicht nur unsere Instinkte sind an ihre Bedeutung für unser Überleben gebunden. Was für sie gilt, gilt allgemein auch für alles andere.Je mehr wir uns gegen eine Sache absichern, umso weniger Gründe haben wir noch, uns um sie zu kümmern und umso mehr verlieren wir sowohl die dafür erforderlichen Fähigkeiten, als auch die Vorteile, die aus deren Gebrauch erwachsen. Ist das Überleben garantiert, gibt es für uns keinen Grund mehr, uns zu dessen Zweck um unser Leben zu kümmern.

Dasselbe gilt für unsere Wünsche, Bedürfnisse und Ambitionen. Der Nutzen all dieser Dinge für unsere Lebensqualität, liegt in der Herausforderung, die sie mit sich bringen, was sie uns so abverlangen und das Wachstum, das auf diesem Weg angeregt wird. Qualität ist schließlich nicht ohne Qualen zu haben und die sind wir nur bereit auf uns zu nehmen, wenn wir damit etwas erreichen oder bekommen können, was wir wollen oder brauchen. Haben wir aber schon alles sicher, was wir brauchen oder wollen können, gibt es für uns auch keinen Grund mehr, uns selbst zu überwinden. Wir stagnieren erst und werden dann auch noch zwangsläufig degenerieren.

Sich von sinnloser Plackerei und unbeherrschbarer Gefahr zu befreien ist eine Sache, sich komplett von jeder Arbeit und Gefahr befreien zu wollen eine ganz andere. Ersteres setzt Zeit und Kräfte frei um sich den wirklich wichtigen Herausforderungen des Lebens zu widmen. Letzteres zieht unseren Kräften mit deren Existenzberechtigung den Boden unter den Füßen weg und führt mit der Zeit nur dazu, dass wir uns in Abwesenheit echter Probleme selber zum Problem werden.

Gefahr konfrontiert uns mit der Endlichkeit unseres Lebens. Und diese Endlichkeit erst verleiht ihm und seinen einzelnen Momenten ihren Wert.

Die Gefahr verleiht uns auch Bodenhaftung. Wir werden durch ihr mit unserer Verletzlichkeit, unserer Abhängigkeit und letztlich mit unseren Grenzen überhaupt konfrontiert. Das macht uns bescheiden und realistisch. Wir sehen nun bei dem, was wir wollen und brauchen, nicht einfach nur, was uns dabei im Weg steht, was es erfordert, sondern auch, was dabei schiefgehen könnte oder sogar grundsätzlich falsch ist. Wir fragen uns so nicht mehr nur, ob wir etwas tun können, sondern ob wir es auch wirklich tun sollten.

Das allgemeine Prinzip ist also folgendes: Was wir nicht mehr brauchen, werden wir auch nicht mehr gebrauchen, und was wir nicht mehr gebrauchen, vernachlässigen und verlieren wir schließlich.

„Use it or lose it“. Je leichter und sicherer wir unser Leben machen, umso mehr befreien wir uns von dem Druck, der uns dazu bringt, das zu gebrauchen, was uns und unsere Lebensqualität ausmacht. Wir werden dann schwach, dumm, lethargisch, apathisch und schließlich auch miserabel. Deshalb sollten wir uns nie ganz von unseren Widrigkeiten befreien, sondern nur da, wo wir gar nicht, suboptimal oder falsch herausgefordert werden.

Wenn wir gefährlich leben, kann es natürlich auch dazu kommen, dass wir mit der Gefahr auch einmal nicht umgehen können und womöglich ernsthaft körperlich und/oder seelisch zu Schaden kommen. Das ist aber noch lange kein Grund zur Verzweiflung.

Von den meisten Verletzungen erholt man sich mit der Zeit und wenn man es getan hat, ist man nachher meistens immer ein wenig stärker- oder zumindest weiser – geworden. Wo uns das Leben sogar bricht, da haben wir, auch wenn wir uns wieder aufbauen müssen, zumindest immer noch die Möglichkeit, uns anders und damit auch besser wieder neu aufzubauen.

Man spricht nicht umsonst von posttraumatischem Wachstum. Manches Wachstum braucht sogar das Trauma. Oft kann man sich vom Alten nicht lösen, bis man daran zerbricht, etwas Neues nicht aufbauen oder finden, bis man das Alte verloren hat.

Und selbst wenn all dies uns verwehrt bleibt, haben wir durch unsere schlechten Erfahrungen immer noch zumindest einen Standpunkt gewonnen, von dem aus wir alle neuen Erfahrungen einloten können. Was uns von da an an Schlechtem begegnet und widerfährt, wird uns schwerer überraschen, schockieren und beängstigen können. Je schlimmer die Erfahrung, umso weniger schlimm ist dann alles andere für uns und umso mehr werden wir das Gute zu schätzen wissen. Schließlich wirkt nichts unser natürlichen Tendenz das Negative zu überschätzen, so effektiv entgegen, wie es tatsächlich einmal erfahren zu haben.

Damit soll nicht gesagt sein, dass wir uns einfach so vielen Gefahren wie möglich aussetzen, oder uns immer soweit wie möglich in Gefahr bringen lassen sollten. Wir sollten so leben, dass wir mit der Gefahr zu rechnen und umzugehen haben, sollten dann aber auch mit ihr rechnen und umgehen, nicht jedoch suizidial oder fahrlässig dabei sein.

Wir sollten die Gefahr dadurch konfrontieren, dass wir uns sinnvolle Tätigkeiten suchen, die sie als ein inhärentes Risiko beinhalten, welches nicht umsonst und nicht blind in Kauf genommen wird.

Tun wir das, so kann die Gefahr von unserem Feind zu unserem Lehrmeister werden. Sie bringt uns wichtige Lektionen bei, rüttelt uns wach, regt uns zum Wachstum an und lässt uns das, was wir haben, besser schätzen.

Woran bemisst sich der Wert des Menschen?

Jeder Mensch hat einen Wert und hat seine Werte. Seine Werte machen dabei, in dem Maß wie sie konsequent ausgelebt werden, seinen Wert aus.

Wie viel uns eine Sache wert ist, ist daran zu erkennen, welchen Preis wir ihr beimessen. Dieser Preis liegt in dem, was wir für sie bereit sind in Kauf zu nehmen und andere zahlen zu lassen, die sie verletzen.

So kann alles für uns niemals weniger Wert haben, als wir bereit sind dafür in Kauf zu nehmen, aber auch nicht mehr, als wir bereit sind, andere zahlen zu lassen, die es verletzen.

So lässt sich der Wert eines Menschen also darin erkennen, worauf er selber Wert legt und welchen Preis er bereit ist, dafür zu zahlen bzw. zahlen zu lassen.

Wo es aber einen Preis für unsere Werte gibt, da muss es auch eine Währung dafür geben. Diese Währung ist letztendlich das, was an Wert immer vor und über allen anderen Werten stehen muss: Das Leben und mit ihm seine Kehrseite, der Tod.

Unsere Werte und damit unser Wert sind also daran zu bemessen, wofür wir bereit sind unser Leben zu geben und wofür wir bereit sind, es anderen zu nehmen. Auf die Spitze getrieben geht es also darum, wofür wir bereit sind zu sterben und wofür wir bereit sind zu töten.

Der Mensch ist umso höher in seinem Wert, umso höher der Grund sein muss, der ihn zum Sterben oder zum Töten bringen kann. Dabei ist die Bereitschaft zum Sterben das bessere Maß zur Bestimmung von hohem Wert, und die Bereitschaft zum Töten, das zur Bestimmung von niedrigem Wert.

Niedere Charaktere sind bereit auch für die kleinsten Bagatellen, Eitelkeiten und Gewinne zu töten und wenn dann meistens nur zum eigenen Vorteil, aber kaum bereit dazu, für etwas zu sterben.

Höhere Charaktere hingegen sind sehr selten, nur für wirklich Wichtiges und auch nur in äußerster Notlage zum Töten bereit, während sie schnell, aber auch nur für weniges Wichtiges zum Sterben bereit sind. Wer aber allzu leicht zum Sterben bereit, zum Töten sich aber immer zu fein ist, der ist nicht heroisch, sondern suizidial.

Wofür aber, würde es am meisten Sinn machen. zum Sterben und zum Töten bereit zu sein?

Wenn es etwas gibt, dass es wert ist, dafür Leben zu geben und zu nehmen, dann muss dies das Leben selber sein. Schließlich ist es die Vorraussetzung für alles andere. Der ultimative Preis, kommt vom höchsten Wert, dem Leben, und ist auch nur für dieses wirklich angemessen. Alles andere hat sich daran zu bemessen, inwiefern es dem Leben dient.

Deshalb ist es auch immer besser, sein Leben für etwas zu geben, indem man dafür lebt, als indem man dafür stirbt, nur muß man eben auch zu Letzterem bereit sein.

Hinter jedem Lügner steckt ein Feigling

Warum lügen wir? Um andere Menschen durch fabrizierte Vorstellungen von uns und der Welt zu beeinflussen oder den Einfluss der Wahrheit zu beschränken, indem wir sie verbergen. Warum wollen wir uns der Wahrheit nicht stellen? Weil wir nicht den Mut haben, uns ihren Konsequenzen zu stellen und nicht zur Verantwortung gezogen werden wollen.

Warum fabrizieren wir falsche Vorstellungen? Weil uns echte und geeignete fehlen.

Dabei könnten wir doch alles, was die Lüge uns bietet, auch im Einklang mit der Wahrheit erreichen. Nur wäre das anstrengender, schwieriger und umständlicher.

Wir könnten ja genauso gut mit Wahrheit überzeugen, wenn wir nur das, was wir von anderen wollen, mit dem, was sie selber wollen in Einklang bringen würden. Wir brauchen nicht auf Kosten anderer zu gewinnen, wenn wir es auch zu deren Gewinn tun können. Genauso können wir auch mit unseren Fehlern und Schwächen umgehen, indem wir uns ihnen stellen, an diesen arbeiten und so letztendlich zu einem besseren Menschen werden.

All das würde uns langfristig weiterbringen, erfordert aber in jedem Fall Selbstüberwindung. Um mit der Wahrheit etwas zu erreichen, muss man sich davon befreien, alles nur aus der eigenen Sichtweise zu betrachten und diese überall um jeden Preis durchsetzen zu wollen. Man muss sich in andere hineinversetzen, sie verstehen und ihnen letztlich auch entgegenkommen. Dies erfordert Bescheidenheit und die Bereitschaft zu Rücksicht und Aufrichtigkeit. Und wo man diesen Weg mit seinen Mitmenschen geht, werden sie sich langfristig immer als nützlicher erweisen, als wenn man versucht, sie nur auszunutzen.

Doch der Anspruch von Rücksicht und Aufrichtigkeit macht uns Angst. Öffnen wir uns nicht dadurch nur dafür, von anderen überwältigt zu werden, weil wir sie zu sehr berücksichtigen? Machen wir uns durch Aufrichtigkeit nicht einfach nur zur Zielscheibe von Kritik und Anschuldigung? Können wir den anderen wirklich vertrauen, dass sie unsere Aufrichtigkeit und unser Entgegenkommen nicht gegen uns einsetzen werden? Bleibt nicht letztendlich keine gute Tat ungestraft? Das mag alles zutreffen, dennoch können wir uns mit Lügen auch nicht vor anderen schützen und begeben uns langfristig damit meist nur noch mehr in die Bredouille.

Denn je mehr wir lügen, umso mehr müssen wir immer weiter lügen und umso mehr werden wir bereits gelogen haben. Irgendwann muss dann zwangsläufig eine unserer Lügen auffliegen. Ist dieser Dammbruch erst einmal geschehen, setzt schnell eine Kaskade von Misstrauen und weiteren Bloßstellungen ein, die das ganze Lügengebäude einreißt und unsere Glaubwürdigkeit darunter begräbt.

Und auch wenn wir uns mit Lügen vor Kritik und Verantwortung verbergen, dann doch niemals vor den Folgen unserer Taten für uns, den Missmut durch die Folgen für andere und den Folgen des Missmuts gegenüber uns. Dabei unterschätzen wir oft, wie leicht unsere Lügen zu durchschauen sind, nur weil es denen, die sie durchschauen, dabei immer schwerer fällt, diese zu beweisen und uns mit ihnen zu konfrontieren, als sie zu durchschauen. Und selbst wo wir nicht durchschaut werden, können wir noch immer beim Wort genommen werden und müssen ihm dann auch entsprechen, um nicht bloßgestellt zu werden, wobei wir hier auch noch daran scheitern können, das wir das einfach nicht schaffen.

So machen uns Lügen auch nicht weniger verletzbar, als es die Aufrichtigkeit tun würde. Nur kommen die Probleme der Aufrichtigkeit immer vor denen der Lüge und damit auch unsere Angst, welche sich stets auf das naheliegendste Problem richtet. Wir können uns unser Leben entweder durch eigene Mühen selber schwer machen, indem wir uns der Wahrheit stellen, oder wir werden es uns auf Dauer noch schwerer machen, indem wir es nicht tun.

So steckt hinter jeder Lüge ein mangelnder Mut zu Wahrheit, die Angst vor den Ansprüchen der Aufrichtigkeit und ein Mangel an der Bereitschaft, sich diesen Herausforderungen zu stellen.

Wir alle sind schwach und müssen uns immer wieder selber überwinden, um stark zu sein. Der Lügner aber ist dazu nicht bereit, weil er ein Feigling ist. Er will sich der eigenen Schwäche nicht stellen, hat deshalb auch nicht die Kraft zur Wahrheit und versucht sowohl der Wahrheit als auch der eigenen Schwäche zu entfliehen, indem er sich hinter Lügen versteckt.

Hinter jedem Lügner steckt ein Feigling und hinter jedem Feigling steckt ein Schwächling. In jedem Schwächling steckt aber ein Mutiger genauso wie ein Feigling. Deshalb kommt es letztendlich auf die Entscheidung im Umgang mit unserer eigenen Schwäche an. Dabei wird man zum Feigling, indem man sich aus Schwäche heraus gegen den eigenen Mut entscheidet und zum Lügner, indem man sich aus Feigheit gegen die Wahrheit entscheidet.

Man kann sich aber auch genauso aus der Schwäche heraus für den Mut entscheiden, durch den Mut dann Stärke erlangen und sich mit dieser Stärke der Wahrheit stellen. Und genau das sollten wir auch tun, wenn wir nicht von unseren eigenen Lügen erdrückt und von unserer eigenen Feigheit zersetzt werden wollen.

Der Spiegel lügt

Die Indianer glauben angeblich, dass sich ein Foto von einem anderen Mensch zu machen, der Versuch ist, seine Seele zu stehlen. Die spannende Frage ist hier natürlich nicht, ob diese Annahme der Wahrheit entspricht, sondern aus welchem Grund man auf sie kommen könnte.

Wie so oft ist hier hinter einer offensichtlichen Falschheit eine tiefere Wahrheit verborgen, die im Aberglauben ihren symbolischen Ausdruck findet. Deshalb auch lohnt es sich zu fragen, was die eigentliche Bedeutung des Aberglaubens ist.

Was bedeutet es, dass man seine Seele an Bilder von sich verlieren kann? Kann man das auch, wenn man sich von sich selber ein Bild macht? Was bedeutet hier Seele und was die Bilder davon?

Hier hilft es, einen weiteren Mythos zu Rate zu ziehen: Die Legende des Narzissus, erzählt von einem bildschönen jungen Mann, der sich in sein eigenes auf der Wasseroberfläche gespiegeltes Bild verliebt und, je nach Ausführung des Mythos, dann daran zu Grunde geht, dass er sich diesem nähern will und ertrinkt oder dass er dahinschwindet, weil er sich seinen eigentlichen Bedürfnissen nicht mehr widmet.

Wir können also zumindest unser Wohlbefinden an Bilder von uns selber verlieren, nämlich an unser Spiegelbild.

Unser Spiegelbild kann im allgemeinen Sinne aber viel mehr als einfach nur ein visuelles Abbild von uns sein. Unser Spiegelbild sind all die Bilder, in denen wir uns spiegeln, also die Bilder in denen wir uns wiedererkennen und mit denen wir uns identifizieren, ob es sich nun um unser Bild von uns selber, unser Bild vom Bild anderer von uns selber oder um Bilder, mit denen wir uns nur im übertragenen Sinne identifizieren, handelt.

Jeder Eindruck, den wir bekommen, in dem wir meinen uns wiedererkennen zu können und mit dem wir uns dann identifizieren, kann uns unserer Seele und unseres Wohlbefindens berauben. Ersteres dadurch, dass wir unser Selbst dadurch, dass wir es vergessen, auch verlieren, uns nicht mehr selber wahrnehmen und so auch nicht mehr selber beherrschen können; Letzteres dadurch, dass wir durch unsere Selbstvergessenheit unsere realen Bedürfnisse vergessen und somit vernachlässigen, sowie allgemein nicht mehr darauf achten, was uns wirklich gut tut und was uns schaden könnte.

Und was Narzissus das Wasser ist, das sind uns die Welt und unsere Mitmenschen. Was sie uns über uns sagen bzw. was wir denken, dass sie uns sagen, ist uns unser Spiegel aus dem wir unsere Vorstellung davon, wer wir sind, ableiten.

Nur ist dieser Spiegel gerade nicht wie ein echter Spiegel, sonder eher wie ein Zerrspiegel. Einerseits wird uns hier ohnehin selten ein wirklich akkurates Bild von uns gegeben. Andererseits sehen wir dieses selber auch nicht so, wie es uns gegeben wird. Schließlich erkennen wir oft nur das, was wir auch anerkennen können, blenden unangenehme und unerwünschte Eindrücke aus und dichten auch noch gerne hinzu, was wir sehen wollen. Es findet eine doppelte Verzerrung statt. Darüber hinaus können wir uns natürlich auch immer ganz einfach nur irren.

Die Gefahr liegt hier also einerseits darin, dass wir uns selbst vergessen, verlieren und vernachlässigen, wenn wir glauben, wir seien das Spiegelbild und andererseits, dass wir ein verzerrtes Bild von uns bekommen, wenn wir glauben, wir seien so wie unser Spiegelbild.

An dem Punkt dann, wo wir uns nicht nur mit dem (Zerr-)Spiegelbild verwechseln und identifizieren, sondern auch dessen Stellung einnehmen, ja geradezu zu ihm werden, verlieren wir unsere Seele an das, was uns spiegelt bzw. worin wir uns selber bespiegeln. Und wo das, was uns spiegelt, andere Menschen sind, verlieren wir unsere Seele an diese. Ob uns unsere Seele hier bewusst gestohlen wird oder nicht, in jedem Fall liegt der Kern des Problems darin, dass wir sie auf- und damit auch abgegeben haben.

Wenn man sich mit dem Eindruck deffiniert, den man denkt auf andere zu machen, dann bestimmen diese letztendlich, wer man denkt, dass man ist. Sie tun es entweder automatisch und unbewusst, oder bewusst und kalkuliert, in dem sie uns genau das Bild von uns selber spiegeln, zu dem sie uns machen wollen. Wenn man dazu noch denkt, dass sich unser Selbst in den Bildern von uns -welcher Art auch immer- erschöpft, ist der Verlust der eigenen Seele vollkommen.

Wo sich aber alle gegenseitig als das Bild sehen, von dem sie jeweils meinen, dass die Anderen es von ihnen haben, da haben alle ihre Seele aneinander verloren und doch keiner etwas dabei gewonnen.

Alle haben sich gegenseitig bestohlen, aber am Ende doch nur sich selber beraubt. Wo keiner mehr seine eigene Seele besitzt, da kann er auch nicht die Seele eines Anderen für sich nehmen, auch wenn dieser sie aufgegeben hat. Denn wer nicht sein eigener Herr ist, der kann auch niemals wirklich das haben, was er anderen abnimmt.

Denn schließlich sind wir ja nicht unser Spiegelbild und auch der Teil von uns, der danach trachtet, dass wir uns in der Welt und in unseren Mitmenschen spiegeln, eben nur ein Teil und nicht unsere gesamte Persönlichkeit.

Wir sind das was sieht, nicht das was gesehen wird. Wir sind das Auge, dass sich nie selber betrachten kann. Deshalb versuchen wir uns selber durch die Augen der Welt und anderer Menschen hindurch zu betrachten. Dabei können wir aber immer nur ein Abbild von uns bekommen und dazu noch eines das sehr unzuverlässig und immer mehr oder weniger verzerrt ist. Wo wir aber glauben, dass wir das sind, was gesehen wird, geben wir dem, was uns sieht, die Macht über uns und verlieren zugleich jegliche wahre Sicht auf uns selber und auch auf das, was uns sieht.

So macht einen wohl nichts so sehr zum Sklave der Welt und anderer Menschen, als von ihnen das zu bekommen, was wir am meisten von ihnen begehren -die vermeintliche Bestätigung, wir wären so, wie wir uns gerne sehen würden.

Wozu brauchen wir Pessimismus?

Schlechter werden die meisten Dinge von alleine, um Verbesserung jedoch oder auch nur Erhalt muss man man sich stets aufs Neue bemühen.

Geht man allerdings davon aus, dass alles von alleine gut gehen wird, wird man die Notwendigkeit dazu immer übersehen.

Dies muss nicht zwangsläufig dazu führen, dass man überhaupt nichts macht. Man wird aber immer nur das machen, wovon man sich entweder eine Belohnung verspricht oder was einem im Moment zu motivieren vermag.

Motiviert, werden wir dabei nicht einfach nur durch das, was uns glücklich macht oder auch nur Glück verspricht, sondern auch durch das, was uns einfach nur antreibt, also alle unsere Impulse Ziele, Triebe und Launen.

Die Rolle des Optimismus liegt nun darin, uns zu diesen motivierenden Kräften zu verhelfen. Gegen sie ob sie uns irreführen, beherrschen oder zerreissen, ist er allerdings machtlos. Denn sich zu zügeln oder zu etwas zu zwingen erfordert, dass man die Notwendigkeit dazu anerkennt. Und eben zur Einsicht in diese Notwendigkeit brauchen wir den Pessimismus, auch wenn es nur Einsicht in die Notwendigkeit des vom Optimismus Versprochenen ist.

Um genau zu sein brauchen wir allerdings nicht unbedingt den Pessimismus selber, sondern vielmehr nur die Bereitschaft zu diesem. Denn zwanghaft pessimistisch zu sein, schränkt einen letztendlich genauso ein, wie es aus Unfähigkeit oder Unwilligkeit zur Härte geborener Optimismus tut.

Pessimismus wird dann lähmend, wo man davon ausgeht, dass alles zwangsläufig schlechter werden muss, egal was man tut, und nicht etwa, dass es einfach nur von alleine ohne unser Zutun schlechter wird. Gegen die entkräftende Wirkung der Vergeblichkeit hilft dann auch die dringendste Notwendigkeit nicht.

So brauchen wir den Pessimismus und den Optimismus gleichermaßen und meistens auch zusammen, nur eben immer auf eine ganz bestimmte Art:

Pessimismus sagt uns in richtigem Maß, was wir zu tun haben, Optimismus was wir tun können. Beides ist komplementär. Denn etwas zu tun zu haben, ohne zu wissen, was man dafür tun kann, ist genauso sinnlos, wie etwas zu können, ohne zu wissen, was man damit zu tun hat.

Will man etwas bewirken, wird man etwas dafür tun und auch können müssen. So brauchen wir für das Notwendige den Pessimismus und für das Mögliche den Optimismus.

Nur darf was wir dabei vermeiden, erhalten, oder erreichen wollen, nie als vorher schon garantiert gelten. Streben wir nach etwas, brauchen wir zuerst den Optimismus und dann den Pessimismus, wollen wir etwas vermeiden, ist es genau umgekehrt.

Was ist Nächstenliebe?

Wenn man über ein Verhalten oder eine Situation urteilt, sollte man sich immer fragen, wie man dies tun würde, wenn es einen selber oder eine Person die einem nahesteht, betreffen würde. So vermeiden wir, anderen das zuzumuten, was wir weder uns noch unseren Angehörigen zumuten würden. Warum auch sollte ich einem Mann zumuten, was ich bei meinem Bruder, Vater, Sohn oder Freund niemals tolerieren würde, oder einer Frau, was genauso meine Tochter, Mutter, Schwester oder Freundin betreffen könnte.

Wenn mir ein anderer doch nicht nahesteht, so wird er für mich dadurch ja nur zu einem Fremden, nicht aber automatisch zu einem anderen Menschen. Warum also sollte ich ihn nach einem anderen Maßstab bewerten, wo ich doch nicht einmal weiß, wie er wirklich ist. Und ist er nicht auch jemand, der, wenn nicht mir, doch einem anderen am Herzen liegt? Ist er nicht auch für irgendwen Sohn, Bruder, Vater oder Freund, auch wenn er nicht der meine ist, bzw. Tochter, Schwester, Mutter oder Freundin, auch wenn sie nicht die meine ist? Und hat er nicht auch wiederum Menschen, die ihm am Herzen liegen, so wie mir die meinigen? Hat er nicht auch Kinder, Geschwister, Eltern und Freunde? So liegt doch jeder irgendwem am Herzen und hat auch selber diejenigen, die ihm am Herzen liegen. Warum dann sollte ich eines anderen Bruder zumuten, was ich meinem niemals antun würde? Warum eines anderen Tochter zumuten, was ich meiner niemals geschehen lassen würde?

Wir Menschen sind nicht alle gleich, genauso bedeuten uns auch alle Menschen nicht gleich viel. In einer Hinsicht sind wir es jedoch, in unseren universellen moralischen Obligationen zueinander.

Wir sollten alle danach streben, andere so zu behandeln, wie sie uns behandeln, ihnen nicht das anzutun, was wir selber nicht erleiden wollen und ihnen nicht geschehen lassen, was wir unseren Angehörigen niemals zumuten würden. Soviel sollte vom Prinzip her klar sein.

Dies sind die drei universellen Maximen der Moral: der kategorische Imperativ, die goldene Regel, Reziprozität, die silberne Regel und Solidarität, die bronzene Regel.

Jedoch können wir das praktisch nicht für alle und auch nicht im gleichen Ausmaß umsetzen. Das mag bedauerlich anmuten. Allerdings sollten wir dabei bedenken, dass der selbe Einfluss, mit dem man anderen helfen kann, genauso gut benutzt werden kann, um ihnen zu schaden. Dass wir nicht allen helfen können, bedeutet also auch, dass keiner von uns allen anderen schaden kann. Wir können aber nicht nur nicht allen helfen und auch nicht allen im selben Ausmaß, sonder immer denjenigen am meisten, die uns am nächsten stehen.

Wir können und sollten uns also immer zuerst und am meisten um die kümmern, die uns am nächsten stehen. Denn für sie können wir am meisten tun und auch am meisten im Gegenzug erwarten und somit jene Bindungen und Beziehungen zu ihnen aufbauen, die Liebe von bloßer Wohlfahrt unterscheiden. Schließlich ist Liebe keine bloße Transaktion von Begünstigungen. Dies ist nur ein Teil von ihr und wird auch nicht von alleine, sondern durch gegenseitige Fürsorge aufrecht erhalten.

Die Liebe geht dem voraus, was wir füreinander tun, ist aber dennoch darauf angewiesen. Sie ist sozusagen Altruismus auf Kredit. Je mehr wir jemanden lieben, umso mehr sind wir bereit, für ihn, oder manchmal auch von ihm, in Kauf zu nehmen. Wird dies jedoch nicht erwidert, oder sogar ausgenutzt, findet die Liebe früher oder später ihr Ende. Deshalb kann sie sich nur dort wirklich halten, wo man sich nahe genug steht, so dass Erwiderung zuverlässig gegeben und erwidert werden kann.

Weder müssen, noch sollten wir also alle (gleich) lieben. Wir sollten ihnen aber die selbe Liebe zu anderen zugestehen, die wir uns für die Unseren herausnehmen. Alles andere wäre nur Heuchelei. Niemand hat ein Recht darauf, von jemand anderem etwas zu beanspruchen, aber jeder eines darauf nicht beansprucht, also berücksichtigt, zu werden. Man muss nicht jedem helfen, aber sollte jeden in Frieden lassen. Nächstenliebe sollte immer allen zugestanden, aber eben nur den Nächsten gegeben werden. Und wo jeder Mensch andere Menschen hat, die ihm nahestehen und solche, denen er selber nahesteht, ist damit auch für alle gesorgt.

Das Leben ist nicht fair

Wir alle wachsen zuerst mit der Erfahrung auf, dass die Welt, wie wir sie durch unsere Eltern erleben, für uns sorgt, sich um uns dreht und allgemein für uns da ist. Je mehr wir mit dem Alter aber an Reife gewinnen, umso weiter wachsen wir über diesen natürlichen Egoismus hinaus.

Wir lernen zuerst, dass sich nicht alles um uns dreht oder sich unserem Willen und unseren Bedürfnissen anpasst, und dann, dass es den anderen damit auch nicht anders geht. Wir lernen also, dass sich die Welt um niemanden von uns im Besonderen dreht.

Vollerst erwachsen werden wir aber erst dann, wenn wir lernen, dass was hier für jeden einzelnen Menschen gilt, auch auf die Menschheit als Ganzes zutrifft. Die Welt dreht sich genauso wenig um die Vorstellungen der Menschen von ihr, wie um uns persönlich oder sonst irgendwen.

Das gilt auch oft für die Welt der Menschen. Zwar wird diese von uns zusammen, durch unsere individuelle und gemeinsame Lebensführung, jedoch dabei weder für uns noch wir für sie geschaffen. Sie ist ein emergentes Phänomen menschlichen Handelns und als solches mindestens genauso weit von unseren Absichten und Bedürfnissen entfernt, wie es oft schon die Resultate unseres eigenen Handelns nur für uns selber sind.

Unser eigenes Leben und unser Zusammenleben entspricht viel weniger unseren Vorstellungen davon, als wir uns vorstellen (wollen). Wir schaffen es ja oft nicht einmal selber nach unseren Vorstellungen zu leben, selbst wenn wir genau wissen, was zu tun wäre. Wie können wir es da bei anderen und noch viel mehr bei der Gesamtheit aller Menschen erwarten, wo wir nicht einmal von dem notwendigen Wissen, dass wir uns ansonsten selber zumuten, ausgehen können?

Aber nicht nur unsere Erwartungen sind unrealistisch. Auch die Realität selber, wie wir sie beobachten können, entspricht unseren Vorstellungen schon nicht.

Wir alle wollen gerne glauben, dass die Welt ein fairer Ort ist, dass Guten nur Gutes und Bösen nur Böses passiert, dass jeder bekommt, was er verdient, dass sich das Bessere immer durchsetzt und das Schlechtere mit der Zeit zu Grunde geht, dass niemand seinem Schicksal erliegen muss und jeder es sich selber schmieden kann, dass das Gute immer über das Böse siegt, dass die Wahrheit überzeugender als die Lüge ist, dass Schönes und Vollkommenes mehr Aufmerksamkeit und Wertschätzung bekommen als Hässliches und Verkommenes usw. Und zu einem gewissen Grad stimmt das auch.

Wir erleben jedoch genauso oft das Gegenteil davon. Guten passiert Böses und Bösen Gutes. Den einen überhäuft das Schicksal unverdient mit Glück und den anderen mit Elend. Man kann alles richtig machen und trotzdem verlieren, genauso aber alles falsch machen und ständig nur nach oben fallen. Lüge verbreitet sich genauso, wenn nicht noch mehr, wie die Wahrheit es tut. Der gröbste Unfug findet mehr Anhänger, als der genialste Einfall und die größten Halunken mehr Bewunderung und Hingabe, als die nobelsten Menschen.

Die Welt ist für uns also v.a. eines: Chaos. Sie entspricht nicht unseren Vorstellungen und Erwartungen von ihr. Aber auch, wenn sie es für uns ist, muss sie deshalb nicht unbedingt von sich aus so sein. Sie folgt nicht unseren Gesetzen, aber dennoch ihren eigenen Gesetzmäßigkeiten, auch wenn wir diese nicht immer erkennen können.

Doch was lernen wir nun daraus? Schlechtes kann es in der Welt von alleine geben, Gutes genauso, Gerechtigkeit im Hinblick auf beides allerdings nicht. Unsere Vorstellungen von Gerechtigkeit sind der Welt und damit oft auch den (anderen) Menschen, die in ihr leben, egal. Können wir dies anerkennen, können wir das ungerechtfertigte Gute besser schätzen, bewahren und genießen, das ungerechtfertigte Schlechte als Problem angehen und bekämpfen und letztendlich der natürlichen Gerechtigkeit des gerechtfertigten Guten und gerechtfertigten Bösen in der Welt mit angemessener Achtung und Rücksicht begegnen.

In jedem Fall aber, müssen wir darüber hinaus kommen, in die Welt zu projezieren, was sie sein soll. Erst wenn wir uns von der Illusion lösen, das alles so ist, wie es sein soll, können wir anfangen es zu verändern und damit dann auch, es zu verbessern.

Ideenherrschaft

„Die Ideen der Herrschenden werden stets zu den herrschenden Ideen einer Gesellschaft“, nicht zuletzt deshalb, weil sie gerade durch diese Ideen herrschen. Dies erfolgt in gemischten Anteilen sowohl bewusst und unbewusst als auch absichtlich und automatisch. Doch wie genau funktioniert das?

Einerseits versucht jede herrschende Schicht stets die Ideen der Beherrschten in ihrem Sinne zu beeinflussen, andererseits tun sie das durch ihren größeren Einfluss und natürlichen Narzissmus bereits von alleine.

Wer an der Macht ist, glaubt allzu gerne, dass er dies aus gutem Grund ist, wer anderen gegenüber einen Vorteil hat, dass er diesen verdient, wem es besser geht, dass er selbst dafür gesorgt hat, so wie wir alle immer glauben wollen, dass die Vorzüge die wir genießen uns selber zuzuschreiben sind.

Die herrschende Schicht wird also immer von ganz alleine eine Weltsicht entwickeln, die ihre Herrschaft als notwendig, gerechtfertigt und wohltuend und sich selber als überlegen darstellt. Dies geschieht entweder explizit (wie im Mittelalter) oder implizit (wie heute). Die herrschende Schicht stellt sich nun nicht mehr direkt als überlegen dar, bemüht sich aber immer darum, den Darstellungen zur Durchsetzung zu verhelfen, die sie dann als überlegen darstellen.

Es reicht, eine Weltsicht zu predigen, deren Annahmen die gewünschte Schlussfolgerung nahelegen. Gewünscht ist dabei natürlich nicht nur eine positive Darstellung der herrschenden Schicht selber, sondern auch des gesamten gesellschaftlichen Arrangements, auf dem ihre Herrschaft beruht.

So eine Weltsicht, wird dann von der herrschenden Schicht einerseits von alleine verbreitet, andererseits aber auch bereitwillig von den Beherrschten übernommen. Diese imitieren nicht nur von Natur aus stets alles, was mit universell ersehntem höheren Status assoziiert wird, sondern auch hoffen oft auch insgeheim, durch Imitation Status zu erlangen.

Dieser Versuch jedoch ist unweigerlich zum Scheitern verurteilt, denn er verwechselt die oberflächliche Erscheinung der ausgedrückten Wirkung ihres Status mit dessen tatsächlichen Ursachen. Es ist ja z.B. nicht pompöser Luxus, der einen reich macht, sondern der Reichtum, der den Luxus ermöglicht.

Aber auch da, wo man etwas imitiert, was tatsächlich wirkungsvoll ist, vergisst man allzu leicht, dass was für den einen funktioniert für jemand anderen nicht die selbe Wirkung haben muss, wenn er sich in einem anderen Kontext befindet. Vieles, was für die Herrschenden funktioniert, tut es eben nur deshalb, weil sie die Herrschenden sind. So ist z.B. ein autoritäres Auftreten in vielen Fällen nur dann wirksam, wenn man auch wirklich Autorität hat.

Es ist, als würde man zu überholen versuchen, was man doch zugleich mit anschiebt. So wird man zwar selber schneller, wird aber niemals wirklich aufholen können. Man lässt sich von den kleinen Gewinnen, die man dabei erzielt, die Hoffnung vormachen, selber irgendwann auch zu den Gewinnern gehören zu können.

Aber oft sind die Ideen, durch die geherrscht wird, auch gar nicht mal die Ideen der Herrschenden selber, sondern nur die, die sie Zwecks Selbstdarstellung und Kooptierung von sich geben.

Man redet den Beherrschten einfach alles ein, was einem dabei hilft, sowohl sie in als auch einen selber in der jeweiligen Position zu halten und redet ihnen aus, was sie dazu bringen könnte, dieses Arrangement in Frage zu stellen. Dies kann, wie oben erwähnt, durch direkte Selbstdarstellung und indirektes Framing erfolgen, aber auch durch simple Ablenkung, Verschleierung oder Beschäftigungstaktiken.

Niemand muss an ein Herrschaftsverhältnis glauben, solange er nur das glaubt, was es aufrechterhält. Dieser indirekte Weg ist oft sogar noch effektiver, weil man sich weder rechtfertigen noch irgendwelche Blöße geben muss. Was nicht offengelegt wird, ist stets schwerer zu erkennen und somit auch schwerer zu kritisieren und anzugreifen.

Was ist Freiheit?

Freiheit ist eine Illusion. Niemand will Freiheit im abstrakten Sinn. Wir wollen immer nur die Freiheit zu dem, was wir konkret wollen (selbst wenn wir (noch) nicht genau wissen, was es ist). Frei sind wir also in dem Maße, wie wir kriegen und tun können, was wir wollen, egal was genau es ist.
Diese positive Freiheit, die Freiheit, die in den uns gegebenen und für uns relevanten Möglichkeiten liegt, setzt stets eine komplementäre negative Freiheit voraus. Wir müssen also negativ frei davon sein, in dem, was wir kriegen und tun oder auch nur bereits wollen können, durch andere eingeschränkt oder vorbestimmt zu werden. Schließlich kann man nicht frei zu etwas sein, wenn man nicht frei von denen Dingen, ist die es einem verhindern.

Frei ist, wer Optionen hat; und ist dabei in dem Maß frei, in dem er sie hat. Optionen hat er in dem Maß, wie sich ihm möglichst viele, möglichst weitgefasste und möglichst erfolgsversprechende Möglichkeiten bieten, das zu bekommen was er will.
Um also frei zu sein, reicht es nicht, einfach nur möglichst viel erlaubt zu bekommen, man muss es selber, auch ohne störende Einmischung, überhaupt erst erreichen können. Denn was nützt schon die Abwesenheit von Hindernissen und Einmischung auf dem Weg etwas zu erreichen, wenn er selber für einen nicht bewältigbar ist oder nicht einmal sicher zu seinem Ziel führen kann? Was, wenn es das anvisierte Ziel nicht gibt, oder nicht einmal geben kann?
Und da wir selten immer nur eines und noch viel seltener nur einfach irgendwas wollen, reicht es auch nicht, einfach nur, möglichst viele, möglichst erreichbare Optionen zu haben; sie müssen sich auch bedeutungsvoll unterscheiden, aber einen trotzdem immer noch etwas angehen (also relevant für das, was man will, sein).
Darüber hinaus reicht es für diese Optionen auch nicht einfach nur anstrebenswert zu sein; sie müssen es auch noch mehr sein als der, Aufwand den es erfordert um sie anzustreben. Denn was könnte sich vernünftigerweise als Option bezeichnen, wenn es einem nicht mehr verspricht von dem was man will, als es von dem was man nicht will erfordert?

Wir müssen hier allerdings beachten, dass wir auch nur in dem frei sein können, was uns realistisch betrachtet auch möglich ist und nicht durch unsere eigenen Voraussetzungen oder die der Realität mit ihren gesetzesmäßig beschränkten Möglichkeiten verwehrt wird.
In einem gewissen Sinn darf die Realität sogar keine endlose Möglichkeiten bereithalten und muss immer über ein Eigenleben verfügen, das von uns erfordert, dass wir uns erst daran anpassen, um dann dadurch erst dessen Möglichkeiten sinnvoll wahrnehmen und sie nach unserem Willen formen zu können. Wäre es nicht so und die Realität wäre eine reine Reflektion unserer Wünsche, so würde die Grenze zwischen uns und ihr verschwimmen. Wir würden dann beide aufhören, in irgendeinem bedeutungsvollen Sinn zu existieren, wodurch auch keine Freiheit mehr möglich wäre.

Oder anders gesagt: Wenn alles möglich ist, ist nichts mehr wirklich sinnvoll erreichbar und für uns somit auch subjektiv weder wahrnehmbar noch erreichbar. Es muss zumindest für uns immer erst etwas geben, das einfach nur ist, und dadurch erst dann etwas, dem wir mit unserem Willen begegnen können. Gäbe es diese Grenze zwischen uns und der Wirklichkeit nicht, könnten wir genau so wenig etwas von ihr wollen, wie es uns überhaupt noch geben könnte.
Freiheit ist also nicht einfach Wunscherfüllung, sondern erfordert immer ein distinktes, geordnetes, anderes Etwas, welches in sich durch seine Struktur und Gesetze gegebene Möglichkeiten enthält und uns somit erst Möglichkeiten, über es frei nach unserem Willen zu bestimmen, gibt. Gibt es kein bestimmtes anderes oder ist es durch uns nicht veränderbar, können wir also auch nicht frei sein.

Das gilt nicht nur im metaphysischen Sinn, sondern auch im Bezug auf das Soziale. Eine freie Gesellschaft muss überhaupt erstmal eine Gesellschaft sein. Wo es keine Gesellschaft gibt, gehen uns die durch sie gegebenen Möglichkeiten und damit die Freiheit im Umgang mit diesen notwendigerweise verloren. Und damit es eine Gesellschaft geben kann, in der wir dann frei sein können, kann diese auch kein Raum endloser Möglichkeiten sein, sondern muss eine Struktur haben, welche wiederum mit Einschränkungen verbunden ist.
Allgemein lässt sich wohl sagen, dass Freiheit in der Realisierung der uns gegebenen Möglichkeiten liegt. Nur können wir eben nicht endlose Möglichkeiten haben. Sowohl deren Existenz, als auch deren Realisierung verlangen von uns immer Einschränkungen ab. Damit soll natürlich nicht gesagt, sein, dass umgekehrt mehr Einschränkung immer zu mehr Freiheit führen muss, nur dass sie sinnvoll nicht ohne Einschränkung realisierbar ist.

Da wir Menschen nun mal soziale Wesen sind, präsentiert sich hier nun ein eigenartiges Problem:
Das andere, worüber wir unserem Willen gemäß frei bestimmen möchten, ist meistens entweder etwas, worüber auch andere bestimmen möchten, oder sogar selbst ein anderer/ andere. über die/den wir frei bestimmen möchten.
So kommt also, das was wir wollen meistens unweigerlich in Konflikt steht mit dem, was Andere wollen, entweder weil sie das selbe von einer Sache wollen, oder von einer selben Sache anderes wollen.

Durch diese Widersprüche und Konflikte ist es für uns alle praktisch unmöglich, maximal frei zu sein. Maximale Freiheit für alle ist in Wirklichkeit leider immer nur die Maximierung der Freiheit derjenigen, welche ihren Willen gegen und auf Kosten anderer durchsetzen.
Wenn wir also das größtmöglichste Maß an Freiheit für alle erreichen wollen, bei dem wir alle möglichst viel von dem kriegen und tun können, was wir wollen, weil wir uns dabei möglichst wenig gegenseitig in die Quere kommen, brauchen wir ein Arrangement, in dem jeder Einzelne von uns nur kriegen und tun kann, was er will, wenn er es zuerst auch jedem anderen gewährt oder bestenfalls sogar noch bedient.

Nun können wir aber dieses Kalkül weder in jedem einzelnen Fall noch für die Gesamtheit aller möglichen Fälle von Freiheitskonflikten durchführen und erst recht nicht erwarten, dass der andere es uns gleichtun wird. Deshalb brauchen wir eine apriorische Basis für einen pauschalen moralischen Imperativ der gegenseitigen Rücksichtnahme und Zurückhaltung als Grundlage für ein möglichst freies Zusammenleben.
Hier sind also Humanismus, Religion, Tugendethik und alle sonstigen ethischen Systeme gefragt, uns beizubringen, darauf zu verzichten auf das Leben anderer und auf die unbedingte Erfüllung unseres Willens Anspruch zu erheben, um uns so allen ein Leben in Freiheit zu gewähren, während es das in unserer Zeit als freiheitlich missverstandene libertine Denken, als Illusion und Deckmantel für die Freiheit derjenigen, die sich durch ihre Übermacht durchsetzen, bei ungleich größeren Kosten für alle anderen, zu durchschauen gilt.
Gilt die Maxime „Tu was du willst, sei das ganze Gesetz“, so wird dies immer nur dazu führen, dass diejenigen ihren Willen zum Gesetz der anderen machen, die sich damit am besten (ob nun durch Gewalt oder List) durchsetzen können.
Schauen wir also erst darauf, dass unsere Freiheit nicht mit anderen in Konflikt gerät und überlegen wir erst dann, was wir von dem was wir tun wollen, auch wirklich tun können und sollten. So werden wir uns unsere Freiheit am besten erhalten.