Warum ghosten wir? Warum tut es oft so sehr weh, geghostet zu werden, wenn ein plötzlicher und unerwarteter Kontaktabbruch doch nur den vorherigen Status Quo wiederherstellt?
Für einen Kontaktabbruch kann es viel Gründe geben, dafür jedoch, ihn plötzlicher und unerwartet zu vollziehen, nur wenige und selten gute.
Normalerweise würden wir eine nicht weiter erwünschte Beziehung dadurch beenden, dass wir unser Gegenüber genau über unsere Absicht dazu informieren. Solch eine formale Trennung erfordert jedoch stets ein gewisses Maß an Entschlossenheit, Mut und innerer Klarheit, v.a. dann, wenn die Entscheidung nicht auf sicherer Gewissheit beruht bzw. beruhen kann.
So wählt man das Ghosting, weil man seine eigenen Gründe nicht ganz versteht oder es sich nicht zutraut, zu diesen zu stehen und sie womöglich noch gegen Widerrede zu verteidigen.
Dieser passiv-aggressive Umgang mit einem anderen kann aber bisweilen auch die eigentliche Absicht sein. Man will seine Ablehnung ausdrücken, den anderen frustrieren, sich selber dabei überlegen fühlen, die eigenen Zweifel und Unsicherheiten überspielen und manchmal auch Rache für empfundene Vernachlässigung nehmen. Man kann dabei seinem Gegenüber suggerieren, dass er etwas falsch gemacht hat, ohne es begründen zu müssen und ihn so darüber in Selbstzweifel bringen.
So ein Vorgehen ist oft mit einem selbstgerechten inneren Monolog verbunden, getreu dem Motto „Schau, wozu du mich gebracht hast“ oder auch „Jetzt merkst du mal wie sich das anfühlt“.
So kann Ghosting gleichermaßen feige und trotzig sein. Man wählt es einerseits, um den anderen zu übergehen und andererseits, weil man sich selber übergangen fühlt.
In letzterem Fall liegt es oft daran, dass wir Probleme, die auf einem Mangel beruhen, schwerer artikulieren können, als solche, die auf einer Schädigung beruhen. Fühlen wir uns verletzt weil jemand etwas nicht getan hat, sagen uns Gefühl und oft auch Verstand nicht unbedingt, warum das so ist. Oft werden hier Verletzungen unserer Ansprüche und Erwartungen zum Anlass, ohne dass diese uns bewusst werden, weshalb wir sie ja auch nicht reflektieren.
Warum nun aber verletzt uns Ghosting so sehr? Wird man geghostet, so weiß man am Anfang oft nicht einmal, ob man wirklich gerade geghostet wurde. Genau genommen weiß man das nie wirklich sicher. Der Verdacht erhärtet sich nur mit der Zeit immer mehr zur Gewissheit. Man weiß nie wirklich genau, ob der Kontakt wirklich abgebrochen wurde oder nur verloren gegangen ist. Genauso wenig weiß man, warum der Kontakt nun abgebrochen wurde.
Dies führt zwangsläufig zu Verunsicherung. Man fragt sich, ob und was man womöglich falsch gemacht hat und warum man es nicht mitgeteilt bekommt, ob man willentlich oder fahrlässig ignoriert wird, was mit dem Gegenüber genau los ist, was man anders hätte machen können und sollen, ob man sich im anderen geirrt oder sich irre führen lassen hat usw. usf.
Alle diese offenen Fragen können alleine nie ganz und selten zufriedenstellend beantwortet werden. Dazu kommt neben dem Zweifel, den diese hervorrufen noch mit Wut oder Schuldgefühlen verbundene Frustration. Da wir hier in Ungewissheit bleiben müssen, können wir das Ghosting auch nicht verarbeiten und loslassen.
Zu dieser natürlichen Grübelei kommen nun noch weitere von unserer Bewertung der Lage abhängige Gefühle. Wir fühlen uns oft übergangen und hintergangen. Wir sind verraten oder von Anfang an verarscht worden. Man konnte sich offenbar die Mühe machen, sich erst mit uns abzugeben, hat sich aber dann auf einmal doch wieder umentschieden. Wären wir egal gewesen, hätte man uns wahrscheinlich von Anfang an ignoriert.
Wer sind wir also, dass man uns auf einmal nicht mal mehr sagen kann, warum man uns nichts mehr zu sagen hat? Hier können wir nur von Geringschätzung ausgehen, und wenn nicht das dann doch zumindest von mangelnder Anerkennung.
Wer aber sind wir, wenn wir uns auf jemanden eingelassen haben, der uns letztendlich mit solch einer Missachtung behandelt hat? Hier muss zu unseren Zweifeln in jedem Fall auch immer noch Selbstzweifel hinzukommen. Entweder haben wir uns selber oder unser Gegenüber falsch eingeschätzt. Sind wir an dem Abbruch schuld, so stimmt mit uns etwas nicht, sind wir es nicht, so ist unser Urteilsvermögen zu bezweifeln, weil wir es nicht kommen sehen haben. Oder zumindest denken wir das.
Wie ist aber nun mit Ghosting umzugehen? Da wir nicht mit einer Erklärung rechnen können, sollten wir auch den Anspruch darauf aufgeben. Man kann nie genau wissen, warum man nun geghostet wurde. Man kann aber lernen, wann es womöglich wieder geschehen wird. Manche Vorgänge sprechen eben nicht in Worten, sondern nur in Zeichen. Lernt man diese zu lesen, führt das nicht unbedingt dazu, dass man sie besser versteht, aber dazu, dass man besser mit ihnen umgehen kann.
Durch Erfahrung entwickelt man eine Ahnung dafür, was man zu erwarten hat, auch wenn sich einem die genauen Gründe dafür nicht unbedingt erschließen und vielleicht auch gar nicht immer sicher erkennbar sind. Genauso hilft die Erfahrung, die nächste Überraschung besser zu ertragen, wenn man das Ghosting einmal nicht kommen sieht.
Gegen Ghosting hilft also letztendlich nur, es zu erfahren und es möglichst bereits erfahren und dabei auch verarbeitet zu haben. Wir können nicht Gedanken lesen lernen, lernen aber mit der Zeit auch, uns nicht darauf zu verlassen.