Der Werdegang der Ideologie

Jede Ideologie durchläuft stets drei Phasen. Erst ist sie Kritik, dann wird sie zur Weltsicht und schließlich Vision. Je weiter sie dabei auf diesem Weg voranschreitet, umso mehr wächst dabei ihr Geltungsanspruch und umso geringer wird ihr Bezug zur Realität. Ebenso ändert sich mit diesen Phasen die mit ihr verbundene Funktion und soziale Form.

Als Kritik versucht sie aufzuklären und kursiert dabei lose unter variablen Dissidenten, Zweiflern und Unzufriedenen. Als Weltsicht will sie dann nicht einfach nur aufklären, sondern gleich ganz die Welt erklären, was oft auch bedeutet, sie einfach zu verklären.

Ab diesem Punkt fängt sie erst wirklich an zur sozialen Bewegung zu werden. Um eine Weltsicht versammeln sich ihre Anhänger, welche zudem durch Gemeinsamkeiten in ihrem Typus zusammengeführt werden. Oder wie der Volksmund sagt: Gleich und gleich gesellt sich gern.

Sind so erst einmal gleiche – oder zumindest ähnliche – Leute unter einer gleichen Idee zusammengekommen, wird diese auch wirklich zur eigentlichen Ideologie. Man bestärkt und verstärkt sich gemeinsam und gegenseitig in Typus und Weltsicht und steigert sich so in die ursprüngliche Idee immer weiter rein.

Diese Zuspitzung wird durch die mit ihr verbundene Absonderung und Abgrenzung der soz. Bewegung nur noch mehr verstärkt. Man hat nun nicht mehr nur eine gemeinsame Weltsicht, die Weltsicht wird zunehmend auch zu der Welt, in die man sich immer mehr hineinlebt.

Es reicht aber auch bald nicht mehr, nur in der eigenen kleinen Welt der eigenen Weltsicht zu leben, man muss auch die gesamte restliche Welt in ihrem Sinne umgestalten. Die bestehende Welt genügt den Ansprüchen der Ideologie nicht und muss entsprechend nach deren Maßstäben durch eine neue und bessere ersetzt werden. Die soziale Bewegung wird nun zum politischen Projekt. Es geht dabei trotz der größten Bemühungen zur Umsetzung der eigentlichen Ideologie tatsächlich immer weniger um diese selber und immer mehr um das Projekt ihrer Umsetzung und v.a. der mit diesem verbundenen Macht.

Die soziale Bewegung verknöchert zunehmend zum politischen Apparat, der entweder aus der Position gesellschaftlicher Hegemonie mit harter Macht oder aus Unterlegenheit mit weicher Macht vorgeht, um die eigene Ideologie durch- und umzusetzen. Je weiter dieser dabei voranschreitet, umso mehr verschmelzen die Ideologie und ihr Anspruch mit dem auf sie ausgerichteten polit. Projekt, bis schließlich beides miteinander gleichgesetzt wird. Die Revolution wird nun von ihren Kindern gefressen. So finden nicht wenige Ideologien gerade in ihrer politischen Umsetzung schließlich ihr Ende.

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