Limbo

Die schlimmsten Probleme sind nicht immer die schlimmsten. Je ernster die Lage, umso mehr

werden wir dazu bewegt, sie zu beheben, je weniger ernst, umso weniger.

Manche Probleme sind weder ernst genug, um uns wirklich zu deren Lösung zu bewegen, noch harmlos genug, um sie ignorieren zu können. Diesen Zustand zwischen ernster Bedrohung und Harmlosigkeit, wollen wir hier Limbo nennen.

Limbo ist die Mittelmäßigkeit eines Übels, welche dadurch selber zu einem viel größeren Übel wird. Sind wir im Limbo, können wir es weder ertragen noch ändern wollen und werden dadurch mit der Zeit immer mehr aufgezehrt. Unser Wille ist dadurch gelähmt, aber doch nicht unempfindlich.

Die ständige mittelmäßige Belastung zehrt an unseren Kräften, raubt uns Aufmerksamkeit und Energie für das was uns belebt und reduziert uns so mit der Zeit unmerklich auf eine Art vegetatives Existenzniveau. Wir verlieren das was verbraucht wird und das was wir vernachlässigen.

Das Erlebnis dieser einsetzenden Stagnation führt dabei oft zu erlernter Hilflosigkeit. Mangel an bedeutungsvoller Veränderung erzeugt eine subjektive ewige Gegenwart mittelmäßigen Leidens.

Und eben diese subjektiv ewige Gegenwart ist es was den Zustand im Limbo zu einer ganz besonderen Folter macht. Schließlich beruht Folter ja nicht nur auf Leid, sondern v.a. auf der dadurch hervorgerufenen Verzweiflung. Diese kann durch den Eindruck von unaufhörlicher Fortsetzung des Leidens, genauso wie durch bloße Intensität hervorgerufen werden.

Wo sich nichts wirklich ändert, da kommt es einem vor, als müsste es für immer sein. Dies erzeugt Ohnmacht und Hoffnungslosigkeit, welche gemeinsam die eigene Stagnation zusätzlich zementieren.

Limbo ist also eine ganz eigene Form von Folter, die darauf beruht, dass wir eine uns eigentlich nur geringfügig belastende Situation durch unseren instinktiven Umgang mit ihr selber zur Qual machen.

Daraus wird auch offensichtlich, was geboten ist, um dem Limbo zu entkommen. Wir müssen aus unseren instinktiven Reaktionen ausbrechen und das Problem größer oder kleiner behandeln, als es tatsächlich ist. In beiden Fällen werden wir dadurch dazu gebracht, uns darum zu kümmern, entweder indem wir sofort überreagieren oder nach eingesetzter Verschlimmerung adäquat reagieren.

Eine Alternative dazu besteht in bewusster Reevaluation der Situation.

Wenn es uns gelingt, unsere Perspektive auf das Problem zu ändern und dieses realistisch zu betrachten, aber dabei dennoch zu verstehen, dass hier nicht nach normalen Maßstäben vorgegangen werden kann, können wir uns eine subjektive oder objektive Eskalation des Problems durch eine vorzeitige Eskalation der Lösung ersparen.

Eine alternative Form von Limbo besteht nicht in der Mittelmäßigkeit von Problemen, sondern der von unseren eigenen Wünschen, Zielen und Handlungen. Hier kann es dazu kommen, dass unsere Motivation gerade stark genug ist, um etwas zu tun, aber nicht um uns wirklich darin zu bessern. So können wir uns vielleicht die Zeit vertreiben, bleiben aber auch immer hinter unserem Potential zurück. Eine derartige Mittelmäßigkeit wird uns zwar nicht verwahrlosen lassen, frisst aber auch unsere Ambitionen auf.

Dies kommt oft von mangelnder Entschlusskraft. Im motivationalen Limbo sind wir meistens zwischen zu vielen verschiedenen Wünschen und Zielen verstreut, so dass wir nirgendwo wirklich Fortschritt machen können. Hier liegt die Lösung darin, konsequent zu entscheiden. Einige Ziele müssen zurückgestellt oder ganz aufgegeben und andere mehr in den Vordergrund gehoben werden. Oft ist es dabei wichtiger, dass man sich überhaupt entscheidet, als wofür. Verbringen wir zu viel Zeit und Energie mit dem Entscheidungsprozess selber, wird uns das ebenfalls nur unserer Kraft berauben.

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