Hierarchie wird oft sinnbildlich als Pyramide gedacht, realistischer und angemessener ist jedoch das Sinnbild einer Gebirgslandschaft.
Ein Gebirge hat Gipfel und Täler, Unregelmäßigkeiten, lokale und absolute Tief- und Höhepunkte, sowie zusätzlich nuancierende landschaftliche Elemente.
Genauso ist es auch bei den Hierarchien der realen Lebenswelt. Nichts ist hier an sich besser oder schlechter, sondern immer nur in einer bestimmten Hinsicht und in einem bestimmten Kontext, so wie im Gebirge auch jeder Gipfel woanders steht und nur durch die ihn umgebenden Niederungen zum Gipfel wird.
Dabei ist nichts in allem gleich gut, selten etwas überall gut und nie etwas überall perfekt. Dies liegt nicht zuletzt daran, dass Stärken und Schwächen stets relativ und oft komplementär sind. Was eine Sache besser macht hängt von den Umständen ab, unter denen sie ihre Wirkung entfaltet und hat nicht selten unter gegenteiligen Umständen genau die gegenteilige Wirkung. So wird Stärke leicht zu Schwäche und Schwäche zur Stärke, je nachdem wie sich die Lage ändert.
Es kommt also nicht darauf an, ob etwas besser oder schlechter ist, sondern worin und wann. Bei einer Menge von Dingen, wie auch bei einer Menge von Menschen kommt es umso mehr darauf an, dass sie in verschiedenen und wichtigen Dingen gut und dabei im richtigen Verhältnis zueinander sind. Genauso braucht es aber auch ein verbindendes und allgemeines Qualitätsniveau.
Es kommt darauf an, dass alles in einer bestimmten Hinsicht mindestens gleich gut ist und sich darüber hinaus in verschiedenen besonderen, aber dennoch verbunden synergierenden Qualitäten auszeichnet.
So ergibt sich bei den Qualitäten, die wahlweise eine Sache oder ihren größeren Zusammenhang – bis zum größten Zusammenhang des gesamten Daseins überhaupt – ausmachen, stets eine Pluralität von miteinander in Beziehung stehenden Hierarchien. Diese können sich ergänzen, ersetzen, ausgleichen, widersprechen oder bedingen. In jedem Fall stehen sie aber weder allein noch isoliert.
Jeder Versuch, diese Vielfalt in eine große, absolute und totale Hierarchie zu verschmelzen, entspricht dem Versuch eine natürliche Gebirgslandschaft auf eine vorbestimmte Form einzuschleifen.
Hierin liegt das Paradox der Hierarchie. Hierarchien stehen nicht selten miteinander im Konflikt und die Behauptung der einen geht schnell auf Kosten anderer. Hierarchien streben an sich nicht unbedingt nach dieser gegenseitigen Nivellierung, Menschen tun es jedoch. Allzu leicht neigen wir hier zum Reduktionismus: Wir beachten nur eine Hierarchie, für die alle anderen dann weichen müssen. Dass alles gleichgemacht wird und alles in (nur) einer Hinsicht ungleich ist, ist kein Widerspruch, sondern eine Notwendigkeit.
Eine Form der Hierarchie hebt sich in ihrer Rolle und Bedeutung im Gesamtgefüge jedoch von allen anderen ab und wird Kraft ihres Potentials, diese bestimmend zu prägen oft mit dem Prinzip der Hierarchie an sich verwechselt: die Macht.
So wie es bessere und schlechtere Menschen gibt, gibt es auch „stärkere“ und „schwächere“. Dennoch ist Macht weniger eine Eigenschaft, als vielmehr ein Vermögen. Macht hat man, man ist sie nicht. Es kommt darauf an, was man hat, nicht wer man ist, obwohl wer man ist durch geschickten Einsatz die Wirkung dessen was man hat vermehren kann.
In menschlichen Verhältnissen hat die Macht das Potential einer Art Metahierarchie. Sie kann Verfassung und Verhältnis aller anderen menschlichen Hierarchien bedingen und bestimmen. Richtig angewandt kann sie diese koordinieren und organisieren und somit zu ihrer Synergie und Florierung beitragen. Im Normalfall hat sie jedoch eine verzerrende und verstärkende Wirkung.
Macht ist unter den Hierarchien wie eine Art Gravitationsverzerrungsfeld. das tendenziell alle Lebensbereiche durchdringt und verformt, und dabei nicht selten zu ihrem Nachteil oder sogar ihrer Zerstörung.*
Was gut** ist, ist nicht immer mächtig und Macht noch seltener wirklich gut. Sie sollte deshalb in die Pflicht genommen werden. Die „Starken“ haben im Idealfall auch besser** zu sein, in jedem Fall aber dem Besseren zu dienen. Was politisch in einer Überstellung ist, sollte – zumindest zur Schadensbegrenzung – dem Guten unterstellt sein. Hierin liegt der Unterschied zwischen guter und schlechter Herrschaft.
*Wie das aussehen kann können wir hier einmal künstlerisch dargestellt (1) und realistisch dokumentiert (2) beobachten: (1) /https://www.youtube.com/watch?v=7C-aB09i30E; (2) https://www.youtube.com/watch?v=1ZTLMWipjzo.
**“Gut“ hat hier eine doppelte Bedeutung, steht also sowohl für Exzellenz als auch für moralische Überlegenheit. Beides ist durchaus unterschiedlich und in sich noch weiter differenziert.