Warum lügen wir? Um andere Menschen durch fabrizierte Vorstellungen von uns und der Welt zu beeinflussen oder den Einfluss der Wahrheit zu beschränken, indem wir sie verbergen. Warum wollen wir uns der Wahrheit nicht stellen? Weil wir nicht den Mut haben, uns ihren Konsequenzen zu stellen und nicht zur Verantwortung gezogen werden wollen.
Warum fabrizieren wir falsche Vorstellungen? Weil uns echte und geeignete fehlen.
Dabei könnten wir doch alles, was die Lüge uns bietet, auch im Einklang mit der Wahrheit erreichen. Nur wäre das anstrengender, schwieriger und umständlicher.
Wir könnten ja genauso gut mit Wahrheit überzeugen, wenn wir nur das, was wir von anderen wollen, mit dem, was sie selber wollen in Einklang bringen würden. Wir brauchen nicht auf Kosten anderer zu gewinnen, wenn wir es auch zu deren Gewinn tun können. Genauso können wir auch mit unseren Fehlern und Schwächen umgehen, indem wir uns ihnen stellen, an diesen arbeiten und so letztendlich zu einem besseren Menschen werden.
All das würde uns langfristig weiterbringen, erfordert aber in jedem Fall Selbstüberwindung. Um mit der Wahrheit etwas zu erreichen, muss man sich davon befreien, alles nur aus der eigenen Sichtweise zu betrachten und diese überall um jeden Preis durchsetzen zu wollen. Man muss sich in andere hineinversetzen, sie verstehen und ihnen letztlich auch entgegenkommen. Dies erfordert Bescheidenheit und die Bereitschaft zu Rücksicht und Aufrichtigkeit. Und wo man diesen Weg mit seinen Mitmenschen geht, werden sie sich langfristig immer als nützlicher erweisen, als wenn man versucht, sie nur auszunutzen.
Doch der Anspruch von Rücksicht und Aufrichtigkeit macht uns Angst. Öffnen wir uns nicht dadurch nur dafür, von anderen überwältigt zu werden, weil wir sie zu sehr berücksichtigen? Machen wir uns durch Aufrichtigkeit nicht einfach nur zur Zielscheibe von Kritik und Anschuldigung? Können wir den anderen wirklich vertrauen, dass sie unsere Aufrichtigkeit und unser Entgegenkommen nicht gegen uns einsetzen werden? Bleibt nicht letztendlich keine gute Tat ungestraft? Das mag alles zutreffen, dennoch können wir uns mit Lügen auch nicht vor anderen schützen und begeben uns langfristig damit meist nur noch mehr in die Bredouille.
Denn je mehr wir lügen, umso mehr müssen wir immer weiter lügen und umso mehr werden wir bereits gelogen haben. Irgendwann muss dann zwangsläufig eine unserer Lügen auffliegen. Ist dieser Dammbruch erst einmal geschehen, setzt schnell eine Kaskade von Misstrauen und weiteren Bloßstellungen ein, die das ganze Lügengebäude einreißt und unsere Glaubwürdigkeit darunter begräbt.
Und auch wenn wir uns mit Lügen vor Kritik und Verantwortung verbergen, dann doch niemals vor den Folgen unserer Taten für uns, den Missmut durch die Folgen für andere und den Folgen des Missmuts gegenüber uns. Dabei unterschätzen wir oft, wie leicht unsere Lügen zu durchschauen sind, nur weil es denen, die sie durchschauen, dabei immer schwerer fällt, diese zu beweisen und uns mit ihnen zu konfrontieren, als sie zu durchschauen. Und selbst wo wir nicht durchschaut werden, können wir noch immer beim Wort genommen werden und müssen ihm dann auch entsprechen, um nicht bloßgestellt zu werden, wobei wir hier auch noch daran scheitern können, das wir das einfach nicht schaffen.
So machen uns Lügen auch nicht weniger verletzbar, als es die Aufrichtigkeit tun würde. Nur kommen die Probleme der Aufrichtigkeit immer vor denen der Lüge und damit auch unsere Angst, welche sich stets auf das naheliegendste Problem richtet. Wir können uns unser Leben entweder durch eigene Mühen selber schwer machen, indem wir uns der Wahrheit stellen, oder wir werden es uns auf Dauer noch schwerer machen, indem wir es nicht tun.
So steckt hinter jeder Lüge ein mangelnder Mut zu Wahrheit, die Angst vor den Ansprüchen der Aufrichtigkeit und ein Mangel an der Bereitschaft, sich diesen Herausforderungen zu stellen.
Wir alle sind schwach und müssen uns immer wieder selber überwinden, um stark zu sein. Der Lügner aber ist dazu nicht bereit, weil er ein Feigling ist. Er will sich der eigenen Schwäche nicht stellen, hat deshalb auch nicht die Kraft zur Wahrheit und versucht sowohl der Wahrheit als auch der eigenen Schwäche zu entfliehen, indem er sich hinter Lügen versteckt.
Hinter jedem Lügner steckt ein Feigling und hinter jedem Feigling steckt ein Schwächling. In jedem Schwächling steckt aber ein Mutiger genauso wie ein Feigling. Deshalb kommt es letztendlich auf die Entscheidung im Umgang mit unserer eigenen Schwäche an. Dabei wird man zum Feigling, indem man sich aus Schwäche heraus gegen den eigenen Mut entscheidet und zum Lügner, indem man sich aus Feigheit gegen die Wahrheit entscheidet.
Man kann sich aber auch genauso aus der Schwäche heraus für den Mut entscheiden, durch den Mut dann Stärke erlangen und sich mit dieser Stärke der Wahrheit stellen. Und genau das sollten wir auch tun, wenn wir nicht von unseren eigenen Lügen erdrückt und von unserer eigenen Feigheit zersetzt werden wollen.