Wir alle haben Geheimnisse. Genauso wissen wir, dass auch alle anderen irgendwelche Geheimnisse haben.
Ein Geheimnis kann einfach nur ungewiss sein oder vollkommen unbekannt. Wir können also von einem Geheimnis entweder überhaupt nichts wissen oder nur, dass es ein Geheimnis gibt, ohne dessen genauen Inhalt zu kennen. Wissen wir, dass jemand ein Geheimnis hat, ist es eigentlich schon kein richtiges Geheimnis mehr. Deshalb wird auch jeder, der es mit seinen Geheimnissen ernst meint, deren Existenz, genauso wie deren Inhalt verschweigen.
Wir können also von Anderen erwarten, dass sie, wenn sie wirklich wichtige Geheimnisse haben, diese genauso wenig andeuten würden, wie wir dazu bereit wären. Geheimnisse enthüllt man oder man verschweigt sie.
Wird uns aber ein Geheimnis angedeutet, sollten wir dem besser mehr Verdacht als Neugier entgegenbringen. Wer das tut, kann offensichtlich weder wirklich auf Mitteilung noch auf Geheimhaltung aus sein. Wird ein angedeutes Geheimnis weder wirklich verschwiegen, noch mitgeteilt, was soll dann damit bezweckt werden? Und was wird dadurch in jedem Fall bewirkt, unabhängig davon, was bezweckt werden soll?
Die Funktion von Andeutung ist Suggestion. Hinter der Suggestion steckt meist die Absicht, einen gewissen Eindruck zu erwecken, der genau die Reaktion in einem Anderen erwirkt, die man haben will. Die Reaktion, die durch die Andeutung eines Geheimnisses erwirkt wird, ist Unklarheit, Neugier und nicht zuletzt immer auch eine gehörige Portion Projektion.
Wir sollen hinter dem angedeuteten Geheimniss genau das vermuten, was wir begehren und damit oft auch, was wir begehren sollen.
Das Begehren bemächtigt sich dann unserer Urteilskraft. Wir sind so sehr auf das Ziel fokussiert, dass wir dabei den Weg, auf den wir uns begeben komplett aus den Augen verlieren. Wir sind so besessen von dem, was wir wollen, dass wir nicht beachten was es uns tatsächlich bringt. So kann man durch Mystifizierung, Andeutung und Obskurantismus Menschen in die Irre führen, ohne ihnen jemals irgendwelche falschen Versprechen machen zu müssen, ganz einfach deshalb, weil man sie dazu bringt, sie sich selber zu machen.
Je mehr wir uns aber von einer Sache versprechen, je mehr wir sie begehren, umso mehr sind wir auch bereit, dafür in Kauf zu nehmen. Und genau darin liegt auch des Rätsels Lösung: Wer Geheimnisse hat und diese weder wirklich verschweigt, noch wirklich mitteilt, sondern nur andeutet, der will genau das: nur andeuten. Und durch diese Andeutung, durch die Macht der Suggestion, werden wir zu Handlungen und v.a. zu Opfern bewegt, zu denen wir bei vollem Wissen niemals bereit wären.
Diese Andeutung, erfordert übrigens auch nicht, dass tatsächlich etwas dahinter steckt. Es muss kein Geheimnis geben, sondern nur den Eindruck, dass es eines gibt. Es ist sogar noch viel besser, wenn es gar kein wirkliches Geheimnis gibt. Denn zu einem falschen Geheimnis kann man auch beliebig oft und beliebig variabel immer eine falsche Enthüllung bringen.
Allgemein ist die geschickteste Form der Irreführung immer diejenige, die andere dazu bringt sich selber in die Irre zu führen, die effektivste Form der Manipulation diejenige, die sie dazu bringt, sich selber zu betrügen und die effektivste Ausnutzung diejenige, die sie dazu bringt, sich selber auszunutzen. Und um dies zu erreichen, um sie gegen sich selber auszuspielen, muss man ihnen einen Anreiz dazu geben, ohne diesen offenzulegen. Und genau das leistet die Macht der Suggestion. Und wo sich die Suggestion den Schleier eines Geheimnisses verleiht, ist sie am mächtigsten, weil sie sich nicht mehr an der einem bekannten Realität überprüfen lässt. Wo wir nicht wissen, was das Geheimnis ist, wie sollten wir da wissen können, ob es echt ist oder ob es überhaupt eines gibt? Und wenn wir das nicht wissen können, wie können wir dann dem trauen oder Glauben schenken, der es vermeintlich von sich gibt?