Der Philosophie ist nicht zu entkommen. Jeder hat zu irgendwas (s)eine Philosophie, wirklich philosophieren tut man allerdings viel seltener. Dabei bräuchte es genau das. Wo es sich ohnehin nicht vermeiden lässt eine Philosophie zu haben, sollte es nach Möglichkeit auch eine gute sein. Wer zudem dies nicht einmal versucht und nur eine Philosophie hat, ohne überhaupt zu philosophieren, den hat auch stets seine Philosophie. Und selbst dann muss die Philosophie, die einen hat, nicht einmal die eigene sein.
Wo man aber selber nicht philosophiert und auch keine Philosophie hat, da bekommt man stets eine gegeben.
Denn der Verstand verträgt genauso wenig ein Vakuum, wie die Natur es tut. Und genau wie bei der Natur, wird dieses Vakuum, stets von dem gefüllt werden, was sich ihm am stärksten aufdrängt. Was sich aber am stärksten aufdrängt, kann selten das Beste sein. Denn Qualität setzt Komplexität voraus und diese wiederum erfordert zu viel Aufwand, um von alleine mit Bereitschaft aufgefasst zu werden.
Und wo unser Verstand im Hinblick auf jene ersten Prinzipien und größten Ideen, die das Wesen der Philosophie ausmachen, leer ist, wird er, was ihm der Erscheinung nach diesen am nächsten kommt, entweder von außen übernehmen, oder sich von innen her durch seine eigenen Gefühle, Gedanken, Neigungen, Eindrücke, Vorurteile, Stimmungen usw. zu Kopf steigen lassen.
Wer nun nicht selber philosophiert und dennoch eine – nur eben keine eigene – Philosophie hat, wird stets in dieser gefangen sein und kann somit auch nicht wirklich selber frei und eigenständig denken oder handeln. Letzteres beruht ja auch stets auf ersterem.
Wer aber nicht selber und somit auch nicht frei und eigenständig zu denken und handeln vermag, der ist auch nicht mehr zu Anpassung oder wirklichem Wachstum fähig. Wer darüber hinaus aber noch nicht einmal eine Philosophie hat, der ist wie ein leeres Gefäß, das mit der Zeit durch den Verstand eines anderen gefüllt und übernommen werden wird, oder durch Zufall und Willfährigkeit ohne Sinn, Verstand oder Zusammenhang aller Begebenheiten und Eingebungen, die einem begegnen, gefüllt werden muss.
So hat man dann entweder gar keine eigene Philosophie, oder sogar überhaupt keine wirkliche Philosophie, sondern vielmehr nur ein Sammelsurium von Philosophismen, die zu nichts weiter taugen, als vor sich und anderen das Bedürfnis zu erfüllen, so zu wirken, als hätte man die Welt verstanden.
So viel Verirrung und Verwirrung es in der Philosophie bisweilen auch geben mag, müssen wir doch nun zugeben, dass keine Philosophie zu haben, auch keine Lösung sein kann. Wenn wir also um die Philosophie nicht herumkommen können, können wir sie auch gleich ernst nehmen und uns dem Philosophieren widmen. Was aber bedeutet es zu philosophieren? Und wozu sich darum bemühen, wenn man doch damit niemals wirklich fertig wird?
Philosophieren, das ist Denken in Reinform. Deshalb kann man auch über alles mögliche philosophieren, da es bei der Philosophie weniger auf den Gegenstand unseres Denkens ankommt, als wie wir über ihn denken.
Über etwas zu philosophieren, bedeutet darüber am allgemeinsten und tiefsten zugleich so weit nachzudenken, wie man dazu in der Lage ist. Philosophieren bedeutet alles und jedes auf seine Gründe und Zusammenhänge zu untersuchen, dabei immer weiter zu immer tieferen Gründen und immer größeren Zusammenhängen vorzudringen, um sich schließlich daran zu machen, alles was man ergründet, und alles, was man in Zusammenhang gebracht hat, zu vereinen.
Das Ideal der Philosophie und das Ziel des Philosophierens ist es somit, von allem eine Theorie und letztendlich auch eine Theorie von allem zu haben. Ob es nun möglich ist dieses Ziel zu erreichen oder nicht, menschlich ist es doch niemals machbar. Denn die Begrenztheit unseres menschlichen Verstandes erlegt es uns auf, entweder systemisch aber tendentiell flach und unvollständig, oder tiefer und angemessener, dafür aber auch sporadisch und zusammenhangslos zu denken.
In der Philosophie gibt es also immer ein fundamentales Dilemma zwischen dem Bedürfnis, die Welt möglichst gut erklären zu können, und dem, sie möglichst gut zu erkennen. Erklärt wird sie durch Modelle und Systeme, erkannt aber durch die Reflektion des wirklichen Lebens in seinen Einzelheiten, in denen es uns begegnet. Wirkliches Verständnis erfordert folglich beides, also sowohl Erkenntnis als auch Erklärung.
Philsophieren wir derartig lange genug, lernen wir aber nicht nur die Welt (zu) verstehen, sondern auch uns selber zu verstehen. Denn was wir sind, ist in großen Stücken nur das, was die Welt aus uns gemacht hat und was wir in Reaktion darauf für uns aus ihr gemacht haben.