Was ist epistemische Bescheidenheit?

Erwachsen, wird man indem man die unabhängig von einem existierende objektive Realität kennen, akzeptieren und schließlich verändern lernt. Weise werden wir, wenn wir die Grenzen unserer Erkenntnis und unsere Einflusses kennen, akzeptieren und schließlich ausdehnen lernen, wobei letzteres auf ersterem beruht aber es doch nie ganz überwinden kann.

Denn die Grenzen unseres Verständnisses der Welt sind nicht gleichbedeutend mit den Grenzen der Realität an sich. Sie sind jedoch stets die Grenzen unserer Welt, also von dem Teil der Realität in dem wir objektiv und subjektiv leben (beides ist jedoch nicht immer deckungsgleich), also dessen was wir erfahren, erfassen, begreifen und schließlich evt. auch verändern können. Dabei verkleinert sich der Kreis der uns zugänglichen Realität mit jedem dieser Schritte, in dem Maß wie er uns ihr im konkreten Sinne näherbringt, immer mehr. Wir können nie so viel erfassen wie wir erfahren können, nie so viel begreifen wie wir erfassen können und schließlich niemals so viel verändern wie wir begreifen. Erfahren tun wir was uns berührt, erfassen tun wir alles was davon auch einen Eindruck hinterlässt, begreifen tun wir die Eindrücke die wir in Sprache fassen -oder vielmehr allgemein in mentalen Repräsentationen für uns enkodieren- und verändern tun wir schließlich, was wir über und mit Hilfen von unseren mentalen Repräsentationen durch unser Handeln beeinflussen -ob nun bewusst oder unbewusst.

Das ist das große Paradox des Menschen im Umgang mit der Welt: Je näher er dieser kommt umso kleiner wird sie für ihn, umso mehr hat er sie dafür in der Hand und umso ferner ist er ihrem gesamten Wesen.

Die beiden Extrempole unserer Nähe zur Realität sind in maximaler Nähe die Position der Macht -also des bewusst handelnden, eingreifenden und verändernden Menschen- und in maximaler Weite die Position des Mystikers -also die der reinen, ungefilterten und unbeteiligten Erfahrung der Realität als solcher. Dass dabei weder der Mystiker die reine Erfahrung noch der Machtmensch die absolute Kontrolle, noch beide vollständige Erkenntnis je wirklich erreichen können, ändert an der Existenz dieser Pole jedoch nichts. Sie sind kein festes Ziel sondern eher wie ein Horizont, den man nie ganz erreichen kann, auch wenn man ihm doch immer näher und damit in seine Richtung immer weiter kommt. Diese Horizonte geben die jeweils unterschiedlichen Wege vor die Welt kennenzulernen, den der Macht aus der Nähe und den des Mystikers aus der Ferne.

Wo sich dieser Kreis aber nach innen verengt, da muss er wenn wir an Wissen und Weisheit im Umgang mit der Realität gewinnen wollen auf umgekehrtem Wege wieder ausgeweitet werden. Wir müssen zuerst verstehen, dass es stets Dinge geben wird die wir erfahren aber nicht erfassen können, die wir erfassen aber nicht begreifen können, die wir begreifen aber doch nicht in Worten artikulieren können und schließlich solche die wir komplett verstehen, aber doch nie verändern werden können, um dann darüber hinausgehen zu können.

Unsere Erkenntnis auszuweiten und die Grenzen unserer Realität anzuerkennen gehen also Hand in Hand. Will man sich weiterer Erkenntnis öffnen, muss man die Grenzen der bisherigen anerkennen. Erweitert man seine Erkenntnis wird alles bisherige durch sie immer relativiert werden. Mehr Wissen ist nur erreichbar, wenn man zuerst weiß was man nicht weiß. Und was für konkretes Wissen gilt, gilt genauso für die zu ihm führenden Erkenntniswege. Erst wenn man sieht, dass es mehr Richtungen gibt als die wohin die bekannten Wege einen führen, kann man sie verlassen und sich dazu begeben diese zu erkunden.

Aber auch damit kommt man irgendwann zu der oben erwähnten Erkenntnis, dass es über unsere Erleben hinaus und außerhalb unserer Kontrolle immer noch unendlich mehr geben muss, welches sich uns immer entziehen wird. Dies sind unsere ultimativen Grenzen, die wir niemals überwinden können und die uns zu dem machen was wir als Menschen sind. Erkennen wir dann unsere Grenzen einerseits als einzelner Mensch und andererseits als Mensch an sich, erlangen wir dadurch Selbsterkenntnis. Denn die Grenzen der eigenen Erkenntnis, erkennen wir immer nur im Zusammenhang mit ihre Bedingungen, und diese Bedingungen schließlich liegen in uns und unserem Wesen, weshalb wir uns durch ihre Erkenntnis auch selbst erkennen genauso wie wir durch Selbsterkenntnis unsere Grenzen erkennen.

Kommentar verfassen