Was ist Sozialdarwinismus?

Hierarchien lassen sich als Idee und in der Realität danach unterscheiden, nach welchen Kriterien sie gebildet werden und desweiteren inwiefern sie sich zwischen Idee und Realität und untereinander nach ihren Kriterien unterscheiden.

Menschen kann, man wenn man sie in Hierarchien ordnet, nach vier Kriterien bemessen und vergleichen: nach dem Ausprägungsgrad bestimmter Eigenschaften, nach dem Ausmaß an Macht, Bedeutung und Einfluss das sie haben, nach ihrer formalen Position und schließlich nach ihrem allgemeinen Wert als Menschen. Sozialdarwinismus beruht darauf, dass alle diese Ansätze weder unterschieden noch getrennt werden. Man kann eine formale Position ohne reale Macht haben. Man kann eine bestimmte Qualität in besonderem Ausmaß besitzen, aber trotzdem ein schlechter Mensch sein. Man kann sowohl in einer Qualität und in seinem gesamten Charakter exzellent sein und doch komplett ohne Rang, Namen und Einfluss sein. So lassen sich alle diese Kriterien noch weiter beliebig kombinieren und differenzieren. Zwar gibt es Zusammenhänge zwischen ihnen, aber diese sind doch niemals notwendig und noch viel seltener beidseitig. So wird einem ein starker Charakter zwar dabei helfen Exzellenz in einem bestimmten Feld zu verlangen, Exzellenz in diesem Feld aber weder diesen Charakter erfordern noch zwangsläufig ihn herausbilden (Es gilt ja noch Begabung, Glück und Motivation mit zu berücksichtigen). Schlechte Menschen können aus schlechten Gründen bisweilen Gutes bewirken, wenn man sie richtig einsetzt, gute Menschen aus guten Gründen können Katastrophen verursachen, wenn sie meinen die Wirkungen ihres Handelns müssten ihren Absichten entsprechen. Kompetente Leute mit exzellenter Eignung für eine Position können sich als korrupt herausstellen oder dazu werden und die Funktion der Position komplett in ihr Gegenteil verkehren.

Desweiteren unterscheidet Sozialdarwinismus auch nicht innerhalb dieser Kriterien nach unterschiedlichen Dimensionen. Es gibt ja nicht nur eine Eigenschaft nach der Menschen sich vergleichen lassen, nicht nur eine Form von Macht oder Einfluss, nicht nur eine Domäne der Gesellschaft die dazu nur von einer einzigen rein vertikal und unverästelt angeordneten Hierarchie bestimmt wird und sicher nicht nur einen einzigen Maßstab ihres Wertes (der Wert eines Menschen bemisst sich für uns vielmehr nach unseren Werten, und diese unterscheiden sich bisweilen sehr deutlich).

Für den Sozialdarwinisten ist das alles gleich: Die Mächtigen sind die Starken, die Stärkeren sind die Besseren und somit bekommt jeder was er verdient und was er bekommt muss er verdient haben. Sozialdarwinismus reduziert die ganze Komplexität menschlicher Verhältnisse auf einer einzige Hierarchie der dann absolute Bedeutung beigemessen wird. Die ganze Menschheit ist eine Pyramide unterteilt in unten und oben. Menschen können sich nur darin unterscheiden und sind auch nur dadurch bestimmt wo sie auf dieser Hierarchie stehen. Sie sind nicht wirklich verschieden sie sind nur besser und schlechter, größer und kleiner, schwächer und stärker, mächtiger und machtloser, alles zusammen verschmolzen in ihre Position auf der großen Rangordnung der Existenz. Die Frage danach worin sie denn genau, besser und schlechter, schwächer und stärker, mächtiger und machtloser sind erübrigt sich dabei. Denn im Sozialdarwinismus passt sich nicht die Macht der Realität sondern Realität der Macht an. Noch vielmehr ist für den Sozialdarwinismus Macht die eigentlich Realität. Denn das Gesetz des Stärkeren hat für die Feinheiten der Gesetze der Natur genauso wenig Rücksicht wie für die der Menschen, sieht es doch die Natur nur als einen Kampf ums Dasein und den Menschen nur als Tier das immer nur dieser Natur nach zu (über-)leben hat. Entsprechend hat auch niemand wirklich Rechte oder Pflichten. Die „Starken“ tun was sie können und die Schwachen erleiden was sie müssen. Zwischen Sein und Sollen wird hier genau so wenig unterschieden wie zwischen den Menschen und ihren Hierarchien, ganz einfach deshalb weil es für den Sozialdarwinismus nicht einmal ein Sollen gibt. Ihr Gesetz ist das Recht des Stärkeren oder um genau zu sein das des Mächtigeren (Stärke beruht auf eigenen Fähigkeiten, Macht auf der Fähigkeit sich der Fähigkeiten anderer zu bedienen*). Und wo das Recht des Stärkeren gilt kann kein anderes und damit auch kein eigentliches Recht mehr herrschen, weder durch das Gesetz der Moral noch durch das der Sitte, noch durch das über kurzsichtig eigennützigen Egoismus hinausgehender Vernunft.

Somit rechtfertigt Sozialdarwinismus immer automatisch den Status Quo und wird deshalb auch von genau denen propagiert welche am meisten von ihm profitieren (oder es sich nur erhoffen).

Interessanterweise ist Sozialdarwinismus aber nicht auf den oberen Kern einer Gesellschaft beschränkt sondern findet sich fast in gleichem Maße in seinem unteren Rand wieder. Sowohl die feststehenden Verlierer als auch die feststehenden Gewinner einer Gesellschaft glauben meistens an das Recht des Stärkeren, weil sie beide das Recht nicht kennen. Die Einen weil sie über ihm stehen und die Anderen weil sie außerhalb von ihm stehen. Die Einen brauchen sich der Moral nicht zu beugen, die Anderen können sie nicht gebrauchen. Beide kennen sie nichts anderes als die Logik der Macht und das Gesetz des Dschungels, die Einen weil sie nicht anders müssen die Anderen weil sie nicht anders können. Sie behaupten sich jeweils nicht durch sondern gegen die geltenden Normen ihrer Gesellschaft und rechtfertigen ihre asoziale Skrupellosigkeit entweder durch ihre vermeintliche Überlegenheit oder Notdurft. Nicht selten machen sie deshalb auch gemeinsame Sache.

*Dies schließt natürlich nicht aus, dass Macht auch auf Stärke beruhen kann (sofern sie auf mehr als bloßer Manipulation beruht) und das Macht selber auch eine Form von Stärke ist.

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