Selbstbeherrschung betrachten wir normalerweise als einen Prozess bei dem, wir zum Zweck unserer eigenen Ziele oder aufgrund von über diese hinausgehenden Werten unseren Emotionen ihren Ausdruck oder vorausgehend ihr Aufkommen verwehren. Entsprechend halten wir unsere Neigung dazu überhaupt oder nur in bestimmten Situationen Emotionen zu haben als eine Schwäche die es um unserer Selbstbeherrschung willen möglichst zu reduzieren gilt.
Diese Perspektive übersieht jedoch eines: Während Emotionen zwar in ihrer Wirkung uns zu Handeln verleiten können, welches dem was uns wichtig ist schaden würde, wären wir komplett ohne sie überhaupt gar nicht erst in der Lage irgendeine echte bedeutungsvolle Verbindung zu dem was uns wichtig ist aufrechtzuerhalten. Unser Handeln wäre zwar wirkungsvoller, es wäre aber nicht mehr unser eigenes und damit eigentlich überhaupt kein Handeln mehr.
Emotionen haben stets drei Aspekte die sie bestimmen: Was uns wichtig ist, was um uns herum passiert und was, wie davon welche Relevanz für uns hat. Und wäre uns nichts wichtig, wäre uns auch nichts relevant und damit auch nicht mehr verständlich und zugänglich. Und solange uns etwas ausserhalb von uns selber wichtig ist, werden wir auch immer in dem Maß wie es uns berührt, durch es verletzlich sein. Vulnerabilität ist also nicht bloß eine Schwäche (obwohl sie das auch sein kann) sondern vielmehr der Preis den wir für Relevanz und Wirksamkeit im Verhältnis unserer Beziehungen zu unserer Umwelt bezahlen.
Die Welt hört für uns immer an dem Punkt zu existieren auf wo sie uns egal geworden ist. Und der Preis dafür, dass es für uns eine Welt gibt, der wir nicht indifferent gegenüberstehen ist nun mal, dass wir für das was in ihr passiert auch emotional anfällig sind. Und wenn wir es nicht wären, so wären wir zwar nicht emotional aber doch trotzdem kausal anfällig, denn ob etwas uns wichtig ist oder nicht, ändert nichts daran, dass es tatsächlich für uns wichtig ist.
Die Welt kann uns also nicht egal sein, weil sie nicht von uns getrennt ist. Deshalb können wir auch nicht ohne Emotionen auskommen, weil sie gerade diese Funktion, das was für uns objektiv wichtig ist, auch uns subjektiv wichtig zu machen, erfüllen. Das tun sie nicht immer perfekt aber sie tun es überhaupt. Damit sie es aber bestmöglichst tun, erfordern unsere Emotionen, dass wir mit ihnen richtig umgehen. Das tun wir indem wir sie erst akzeptieren, dann reflektieren und schließlich entscheiden wie wir mit ihnen umgehen wollen und welche Handlungen aus ihnen folgen sollen, während wir uns dabei durchgehend davon zurückhalten den Impulsen die unsere Emotionen mit sich bringen derart nachzugehen, dass sie diesen Prozess stören oder uns zu falschem Handeln verleiten.
Selbstbeherrschung ist somit keine simple Frage von möglichst großer Gewalt über unsere Emotionen, sondern stets ein Balanceakt zwischen Empfindlichkeit und Effektivität.
Bloße Empfindlichkeit würde uns stets perfekt zu verstehen geben was um uns herum vorgeht und wie es für das uns Wichtige relevant ist, würde uns aber auch daran hindern tatsächlich etwas dafür zu tun, während bloße Effektivität uns in die Lage versetzen würde alles uns mögliche ungehindert tun zu können, aber nicht zu verstehen warum,wozu und wofür wir es eigentlich tun sollten. Tun wir letzteres erlangen wir zwar immer mehr Wirksamkeit, bezahlen aber damit zunehmend mit unserer Integrität und Agentizität (denn beide bedingen einander). Denn was bedeutet Stärke wenn man nicht der ist dem sie gehört, und was ist ein erfolgreiches Leben wenn man nicht selber derjenige ist der es lebt?